Schnell finden wir in Pridelands wieder in unsere Routinen aus Karongwe. Die Tage laufen im Grunde genauso ab wie bisher, nur dass wir nach ein paar Tagen den morgendlichen Game Drive um eine halbe Stunde nach hinten verschieben, da es langsam auf den Winter zu geht und erst später hell wird. Und über eine halbe Stunde mehr Schlaf wollen wir uns nicht beschweren. Nici und ich starten ein neues Morgenritual, indem wir uns um 5.30 Uhr einen Kaffee oder Tee und ein paar Kekse schnappen und uns damit an den Tisch direkt am Wasserloch setzen. Wir sitzen am westlichen Ufer des Dams und haben den besten Blick auf den Himmel, während er die Farben von fast schwarz über dunkelblau, lila, pink und orange bis zu einem blassen Gelb wechselt. Den Rest des Sonnenaufgangs genießen wir dann vom Game Viewer. Meistens gesellt sich noch Luca zu uns, er kommt aus den Niederlanden und ist für ein paar Monate als Media Intern bei EcoTraining. Das heißt, er begleitet uns auf unseren Activities und macht Fotos und Videos, die dann auf den Social Media Kanälen von EcoTraining landen.
Am Wasserloch gibt es immer etwas zu sehen. Wir haben ein resident Hippo namens Beethoven, das sich meistens im Dam aufhält und alle paar Minuten schnaubend auftaucht. Die Elefanten kommen meistens erst, wenn es heiß wird (also spätestens um zehn Uhr), aber bis dahin kommen oft Impalas und andere Antilopen und verschiedenste Vögel.
Wir haben ein paar Vögel, die sich immer im Camp aufhalten, vor allem Yellow-billed hornbills (auch bekannt als Zazu aus “Der König der Löwen”) und ein paar Burchell’s Starlings. Bei jeder Mahlzeit sitzen sie auf dem Zaun oder in den Ästen über uns und scheinen zu warten, dass jemand ihnen eine Portion von unserem Essen auftischt. Da das nicht passiert, nehmen sie die Dinge selbst in die Hand, beziehungsweise die Klaue, und sobald wir Menschen am Büffet fertig sind, stürzen sie sich auf die Reste. Vor allem der Cheddar hat es ihnen angetan und da fast immer jemand vergisst, die Dose zu schließen, schnappen sie sich schnabelweise Käse und fliegen davon. Dass diese Vögel überhaupt noch abheben können, grenzt an ein Wunder. Sie scheinen inzwischen den Zeitplan des Camps zu kennen und wenn eine Mahlzeit mal ein paar Minuten später startet als normal, sitzen sie schon auf dem Zaun und beschweren sich lauthals.

Langsam macht sich Nervosität in der Gruppe breit, denn hier in Pridelands werden wir sowohl die theoretische Prüfung schreiben als auch unsere praktischen Prüfungs-Drives ablegen. Die genauen Daten unserer Prüfungen wissen wir allerdings noch nicht. Erst ein paar Tage nach unserer Ankunft in Pridelands verkündet Jon-Jon, dass die Termine nun feststehen und er den Kalender im Lecture Room aktualisiert hat. Sofort nach dem Frühstück gehen wir nachschauen. Als ich die Termine sehe, muss ich erstmal schlucken. Die erste Theorieprüfung ist schon am 24. März. Das lässt uns nicht mal mehr zwei Wochen zum Lernen. Unsere praktischen Prüfungen starten am 30. März. Da unsere vorherigen Instructors uns den groben Ablauf der Prüfungsphase erklärt haben, haben Nici und ich vor Wochen schon mal grob gerechnet und sind auf ein ähnliches Datum gekommen, darum ist der Termin eigentlich keine große Überraschung. Aber jetzt wo ich es schwarz auf weiß im Kalender stehen sehe, geht mir doch ordentlich die Düse. Wir beruhigen uns mit der Tatsache, dass wir früh mit dem Lernen angefangen haben und insgesamt gut in der Zeit liegen. Anders als ein paar unserer Mitschüler, die scheinbar mit einem viel späteren Prüfungsdatum gerechnet und mit dem Lernen noch gar nicht angefangen haben. Von diesem Tag an ist der Lecture Room bis in die späten Abendstunden gut gefüllt und alle sind in ihre Bücher und Notizen vertieft.

Für die erste Woche in Pridelands haben wir einen dritten Instructor, Tsundzukane. Er bietet uns schon nach einem Tag an, ihn einfach “T” zu nennen und ich bin mir sicher, es liegt daran, dass wir seinen Namen zu sehr verhunzt haben. Genau wie unser vorheriger Instructor Norman, ist T Shangaan und im Busch aufgewachsen. Die beiden unterrichten an der berühmten Tracker Academy und bilden dort die besten Tracker des Landes aus. Und nun leitet T unsere Game Walks. Mal wieder bin ich total beeindruckt vom Wissen unserer Instructors. Egal, was wir T fragen, egal zu welcher Spur, welcher Pflanze oder welchem Tier, er scheint die Antwort zu kennen. Er ist außerdem sehr darauf bedacht, nicht nur unser Wissen, sondern auch unsere Guiding Skills zu verbessern und gibt uns wertvolle Tipps, wie wir einen geführten Walk besser und interessanter gestalten können.

Wir stehen gerade um einen Torchwood-Baum herum, zu dem T uns ein paar Fakten gibt, als wir in einiger Entfernung einen Elefanten sehen. Es scheint ein einzelner Bulle zu sein. “Wollt ihr näher ran gehen?”, fragt T und wir nicken enthusiastisch. T holt eine Babysocke hervor, die mit feiner Asche gefüllt ist und schüttelt sie leicht, um die Windrichtung zu testen. “Der Wind steht nicht gut, wir müssen auf die andere Seit von ihm”. T ist nun völlig in seinem Element und es ist großartig, ihm zuzusehen. Er entscheidet sich für eine Route und wir folgen ihm so leise wir können. Immer wieder bleibt er stehen und testet mit der Babysocke die Windrichtung und passt unseren Weg entsprechend an. Außerdem lauschen wir bei jedem Stopp aufmerksam, ob wir weitere Elefanten um uns herum hören. Wir machen einen großen Bogen, bis wir einmal um den Elefanten rum gelaufen sind, sodass der Wind nun von ihm in unsere Richtung weht. So kann er uns nicht riechen. Wir schleichen uns näher an ihn heran, bis uns nur noch ca. 50 Meter und ein paar Büsche von dem Dickhäuter trennen. Mucksmäuschenstill stehen wir da und hören die Blätter rascheln, während er frisst. Die Äste knacken unter seinen Füßen, als er sich langsam aber sicher auf uns zu bewegt. Genüsslich fressend kommt er immer näher und hat dabei keine Ahnung, dass wir dort sind. Schließlich bedeutet T uns, dass wir gehen sollten. Leise schleichen wir uns davon. Erst als T die Gruppe in sicherer Entfernung anhält, atmen wir alle laut auf. Das war großartig! Genau so soll es sein, der Elefant wurde durch unsere Anwesenheit in keiner Weise beeinflusst oder gestört, er war sich unserer Gegenwart gar nicht bewusst. Wir waren einfach nur stille Beobachter seines ganz natürlichen Verhaltens. T hat uns ein Paradebeispiel eines Encounters geliefert.

Leider verlässt uns T nach nur wenigen Tagen und von da an sind wir wieder nur mit dem Auto unterwegs. Zum Glück haben wir direkt nach dem Ausfall des ersten Landys einen Ersatzwagen aus einem anderen Camp bekommen. Und noch besser: Der neue Wagen hat kein Dach!

Heute sind wir mit Jon-Jon unterwegs, Lucas ist als Guide dran. Es ist ein relativ ruhiger Drive, bis Jon-Jon auf sein Handy schaut und sich dann zu uns umdreht: “Die Cape Hunting Dogs haben gerade ein Impala gerissen, wollen wir da hin fahren?”. Was für eine Frage! Cape Hunting Dogs (auch bekannt als Wild Dogs) sind die am meisten bedrohten Raubtiere im südlichen Afrika. Nicht viele Reserves haben Wild Dogs und dort, wo sie vorkommen, sind sie absolute Ausbruchskünstler. Leider trägt das auch zu ihrem Aussterben bei, weil sie oft aus Reservaten ausbrechen und auf benachbarten Farmen Tiere reißen und daraufhin von den Farmern getötet werden. Die meisten von uns haben noch nie Wild Dogs gesehen und unsere Reaktion fällt dementsprechend begeistert aus.

Da die Dogs recht weit von unserer aktuellen Position entfernt sind, übernimmt Jon-Jon kurzerhand das Steuer und gibt uns unsere erste Ferrari-Safari in Pridelands. Wir heizen über die Schotterpisten und ignorieren alles, was wir unterwegs sehen. In diesem Moment gibt es Wichtigeres als Giraffen und Zebras. Wir fahren bis ins Nachbarreservat Boston und auf einer langen Straße sehen wir schon aus der Entfernung den anderen EcoTraining Landy stehen. Als wir näher kommen, erkennen wir neben dem Wagen die Wild Dogs. Es sind drei, ein Elternpaar mit einem fast ausgewachsenen Jungtier. Wir kommen keine Minute zu früh, denn sie haben gerade die letzten Reste des toten Impalas gefressen und machen nun Anstalten, im Busch zu verschwinden. Sie lecken sich gegenseitig ihre blutverschmierten Gesichter sauber und laufen los. Und wenn Wild Dogs laufen, dann laufen sie. Schnell und weit. Sie gehören zu den erfolgreichsten Jägern unter den afrikanischen Raubtieren, weil sie eine scheinbar nie enden wollende Ausdauer haben und ihre Beute einfach müde rennen. Du kannst dir also denken, wie schwierig es ist, Wild Dogs im Busch zu folgen. Als die drei Dogs los laufen, fahren wir hinter ihnen her, während sie die Straße entlang trotten. Dann passiert das, was wir befürchtet haben und sie biegen von der Straße ab und schlagen sich in den dichten Busch. Jon-Jon zögert keine Sekunde und lenkt den Landy off road hinter den Hunden her. Ich habe ja schon erwähnt, dass das Gelände in Boston deutlich offener ist und so ist es zwar nicht einfach, aber wenigstens möglich, dass wir ihnen ein ganzes Stück folgen. Dabei müssen wir alle die Augen offen halten, weil wir die drei immer wieder kurz in den Büschen verlieren und dann wiederfinden, wenn wir Bewegung im hohen Gras sehen. Als wir zum trockenen Flussbett kommen, laufen die Hunde geradewegs bergab hinein. Leider führt hier aber keine Straße für uns runter und wir müssen einen kleinen Umweg zum nächsten River Crossing fahren. Auf der anderen Seite des Flusses finden wir dann aber weder die Dogs noch ihre Spuren. Wir suchen noch eine Weile die Gegend nach ihnen ab, können sie aber leider nicht noch einmal finden. Als hätten sie sich einfach in Luft aufgelöst.
Alle hoffen, dass die Dogs nun für längere Zeit in der Gegend bleiben werden und wir sie auf unseren nächsten Drives wieder beobachten können. Wir wissen noch nicht, dass es noch eine ganze Weile dauern soll, bis wir sie wieder zu Gesicht bekommen, und dass mein Wiedersehen mit den Wild Dogs ein ganz Besonderes sein wird…