Nach einer aufregenden Nacht klingelt schließlich der Wecker und Nici und ich quälen uns müde aus unseren Betten. Wir machen uns kurz frisch und gehen zum Lecture Tent. Ich schiebe mir noch schnell ein paar Kekse rein, damit mein Magen während der Prüfung nicht so laut knurrt, Frühstück gibt es nämlich erst hinterher. Nach und nach trudeln meine MitschülerInnen ein, manche ganz entspannt, andere sichtbar aufgeregt. Jon-Jon und Jolande erklären uns nochmal die Regeln für die Prüfung und fragen uns, ob wir alle unsere Handys in unseren Zelten gelassen haben, was wir bestätigen. Die sind natürlich nicht erlaubt. Nach den Formalitäten öffnet Jon-Jon einen bisher versiegelten Umschlag und teilt die Prüfungen aus.
Auf sein Kommando drehen wir die Blätter um und legen los. Ab jetzt haben wir 2,5 Stunden Zeit für Fragen über alle 16 Module des Kurses, von der Planung eines Game Drives, Säugetieren und Pflanzen über die Geschichte und Biome Südafrikas, hin zu Geologie und Klima. Als ich die erste Seite aufschlage, fällt mir ein riesen Stein vom Herzen; Die Fragen sind nicht so blöd gestellt wie im Open Book Exam, sondern es scheinen zum größten Teil genau die Fragen aus unserem Workbook und den Flashcards zu sein, mit denen wir gelernt haben.
Alle schreiben fleißig drauf los. Nach nur wenigen Minuten durchbricht auf einmal Jon-Jons Stimme die Stille. Scheinbar hat er einen meiner Mitschüler mit dem Handy auf dem Schoß erwischt. Lucas muss sofort seine Prüfung abgeben und das Lecture Tent verlassen.
Wir Anderen schreiben schweigend weiter. Ich fliege durch die Aufgaben und beantworte sie genau so, wie wir es mit unseren Workbooks und den Flashcards geübt haben. Es gibt nur ein paar Fragen, die mir nicht bekannt vorkommen und die ein bisschen blöd gestellt sind. Nach knapp anderthalb Stunden bin ich die Zweite, die aufsteht und ihre Prüfung Jolande in die Hand drückt.
Ich gehe nach draußen und steuere direkt auf das Wasserloch zu, wo Coneth schon sitzt. Wir reden über ein paar der Fragen, bei denen wir uns nicht sicher waren, während immer mehr unserer Mitschüler zu uns stoßen. Insgesamt scheint es bei allen gut gelaufen zu sein und wir sind guter Dinge, dass wir alle bestanden haben sollten.
Den Rest des Tages haben wir frei und ein paar von uns nutzen die Zeit um weiter zu lernen. Mit der einen Theorieprüfung ist es nämlich noch nicht getan, in den nächsten zwei Tagen stehen noch die “Slides & Sounds”-Prüfungen an. Dabei müssen wir Bäume, Blumen, Gräser, Reptilien, Insekten, Säugetiere und Vögel anhand von Bildern erkennen. Von den Vögeln und Säugetieren werden außerdem die Rufe beziehungsweise Alarmrufe abgespielt, die wir ebenfalls korrekt zuordnen müssen. Zum Glück ist mir dieser Teil schon in den Übungen, die wir hierfür gemacht haben, sehr leicht gefallen, während viele meiner MitschülerInnen vor allem mit den Vogelrufen zu kämpfen haben. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich wenigstens einigermaßen musikalisch bin und mir Melodien gut merken kann, aber ich konnte die knapp 70 unterschiedlichen Rufe, die wir in der Prüfung erkennen müssen, schnell auseinander halten. Deswegen genieße ich den Rest des Tages in Ruhe und kümmere mich um Dinge, die im Lernstress liegen geblieben sind wie Wäsche waschen, aufräumen, Fotos sortieren etc. Ich rechne erst in ein paar Tagen mit dem Ergebnis der Prüfung, deswegen bin ich ganz überrascht, als ich vor dem Mittagessen wieder auf Coneth treffe und er mit einem breiten Grinsen verkündet: “88%!”. Ich gratuliere ihm zu dem guten Ergebnis und freue mich sehr für ihn. Coneth, Nici und ich haben vor der Prüfung so manchen langen Abend zusammen im Lecture Tent verbracht und gebüffelt.
Später am Nachmittag gehen Nici und ich ebenfalls ins Lecture Tent, eigentlich nur um uns einen kühlen Drink aus dem Kühlschrank zu holen, als wir Jolande dort sitzen sehen, einen Stapel Papiere vor ihr auf dem Tisch, der verdächtig nach unseren Prüfungen aussieht. “Allie”, ruft sie, als sie mich sieht, “Super gemacht. Du hast 92% in der Prüfung erreicht. Sehr gut!”.
Nici strahlt mich sofort an und gibt mir eine Fist Bump. Ich freue mich über die gute Nachricht. Auch Nici hat mit einem super Ergebnis bestanden. Wir setzen uns an unseren gewohnten Platz am Wasserloch und lassen uns unsere kalten Drinks schmecken.
Nacheinander erhalten alle meine MitschülerInnen an diesem Nachmittag ihre Ergebnisse und, wie erwartet, haben wir alle bestanden. Wie sich heraus stellt, habe ich sogar die höchste Punktzahl von allen erreicht und bekomme sofort den Streber-Stempel. Aber damit kann ich gut leben.
Am Nachmittag fahren wir zu einem Sundowner-Drive raus. Als ich zum Wagen gehe, kommt mir Jon-Jon entgegen. “Na, Alliecat”, sagt er lächelnd, “bist du zufrieden?”. “Klar”, antworte ich achselzuckend. “Du siehst, harte Arbeit zahlt sich aus. Du kannst echt stolz auf dich sein”, sagt er. Und das bin ich. Auf uns alle. Wir freuen uns besonders für Shuma, der ab dem ersten Tag fleißig gelernt hat und trotz der größten Sprachbarriere die Prüfung bestanden hat.
An einer kleinen Lichtung mitten im Reservat halten wir für unseren Sundowner. Die untergehende Sonne taucht alles in ein goldenes Licht und als wir anstoßen, schmeckt das Savanna gleich doppelt so gut, denn wir haben das Gefühl, es uns wirklich verdient zu haben. Der erste Teil der Prüfung ist also geschafft und wir sind dem Safari-Guide-Sein heute einen großen Schritt näher gekommen.