Seit dem starken Gewitter vor über drei Wochen hat es nicht mehr geregnet und der Boden ist knochentrocken. Die meisten Wasserlöcher sind schon deutlich geschrumpft und von den kleinen Wasserpfannen, in denen sich sonst die Büffel gewälzt haben, ist nur noch hart getrockneter Matsch zurückgeblieben, in denen die Hufabdrücke versteinert wurden.
Es ist außerdem unglaublich heiß. Schon vor acht Uhr knallt die Sonne gnadenlos auf uns runter und seit drei Tagen klettert das Thermometer auf 40°C oder mehr. Wir schleppen uns im Camp von einer schattigen Stelle zur nächsten, aber eine richtige Abkühlung findet man leider nirgens. Nur die kalten Drinks, die wir hier kaufen können, leisten etwas Abhilfe und wir legen uns die kühlen Dosen auf die Stirn und in den Nacken, bevor wir sie austrinken. Wenn alle paar Stunden mal eine leichte Brise geht, atmen wir alle erleichtert auf und drehen uns ihr mit leicht angehobenen Armen entgegen wie Vögel, die den Wind in ihren Flügeln einfangen. Als die Jungs in der Mittagspause Volleyball spielen wollen, verbrennen sie sich auf dem heißen Sand die Füße. Das wäre dann wohl noch ein Grund, im Camp nicht barfuß zu laufen, neben den Dornen, Spinnen und Skorpionen…

Auch wenn wieder 40°C sind, ist heute der Tag, auf den wir uns schon seit unserer Ankunft in Karongwe freuen: Unser erster Sleep out steht bevor, wir campen draußen im Busch. Keine Zeltwand zwischen uns und der Natur und den Tieren. Craig hat uns neulich darauf hingewiesen, dass der Sleep out keineswegs eine Partynacht sein soll, sondern eine Möglichkeit, uns noch verbundener mit unserer Umgebung zu fühlen. Es gibt also keinen Alkohol und auch Spiele, Musik und anderen Ablenkungen sind nicht erwünscht.

Am Nachmittag bepacken wir den offenen Anhänger mit unseren Isomatten, Schlafsäcken und Rucksäcken und den Campingstühlen, die normalerweise um die Feuerstelle stehen. Der hohe Berg an Gepäck sieht nicht aus, als wäre er den holprigen Straßen gewachsen und wir sind uns fast sicher, dass unterwegs etwas raus fallen wird. Die erste Gruppe fährt samt Anhänger los und wir geben ihnen ein paar Minuten Vorsprung, damit wir nicht in ihrer Staubwolke fahren.

Unser Ziel ist Bullfrog Dam, ein schönes Wasserloch, an dem wir schon oft auf unseren Drives und Walks angehalten haben. Direkt neben dem Wasser ist ein großer, relativ flacher Granitfelsen, auf dem wir unser Lager aufschlagen wollen. Auf dem Weg dorthin halten wir ein paar Mal an, um trockene Äste für das Feuer zu sammeln.
Am Bullfrog Dam angekommen, machen sich alle an die Arbeit, ein paar der Jungs graben ein Loch für das Feuer, ein paar von uns bauen die Tische und das mitgebrachte Abendessen auf und andere suchen sich Schlafplätze. Die beiden Instructors und unser Back-Up Manu schlafen an drei Seiten ganz außen, jeder mit einem Gewehr in Reichweite. “Rollt eure Schlafsäcke erst aus, wenn ihr wirklich schlafen geht, nicht früher”, warnt Craig, “Sonst nistet sich da vor euch schon eine Schlange oder ein Skorpion ein”. Den Rat nehmen wir gerne an, allerdings plant bei diesen Temperaturen sowieso niemand, seinen Schlafsack zu benutzen.

Als alles aufgebaut ist, bittet Craig uns, uns auf dem Felsen zu verteilen, damit jeder für sich schweigend den Sonnenuntergang betrachten kann. Ich suche mir ein ruhiges Plätzchen uns setze mich auf den Granit. Schon nach wenigen Minuten merke ich, dass das ein großer Fehler war. Der Stein ist unfassbar heiß! Ich muss alle paar Sekunden meine Sitzposition ändern, um mir nicht den Hintern zu verbrennen. Kurz habe ich den Gedanken, dass der Geruch von verbranntem Fleisch wenigstens ein paar Raubtiere anlocken könnte.
Ich versuche mich mit dem wunderschönen Sonnenuntergang abzulenken, der sich uns bietet. Ein paar kleine Wolken sind aufgezogen und lassen den Himmel dramatisch lila- und orangefarben erstrahlen, während die Sonne sich den Bergkämmen der Drakensberge annähert.

Ich nutze den Moment der Ruhe und lasse die letzten Wochen nochmal Revue passieren. Kaum zu glauben, dass wir schon knapp einen Monat hier sind! Und was wir schon alles gelernt haben. Ich weiß nicht, wann mein Hirn zuletzt so viele neue Informationen und Eindrücke verarbeiten musste und ich so hart gearbeitet und so viel gelernt habe. Wahrscheinlich noch nie. Und definitiv hat es noch nie so viel Spaß gemacht wie hier.

Wir bleiben schweigend sitzen, bis die Sonne untergegangen ist, dann lösen wir uns nach und nach aus unserer Trance. Craig versammelt uns erneut und wir setzen uns in einem Halbkreis vor ihm auf den Felsen, denn er möchte uns etwas vorlesen. Es handelt sich um einen Brief aus dem Jahre 1854, den der Indianer Chief Seattle an den damaligen US-Präsidenten Pierce geschrieben hat, weil dieser den Indianern ihr Land abkaufen wollte. Seattle beschreibt darin die Verbindung seines Volkes mit der Natur und bittet die Amerikaner darum, sie zu beschützen, weil die Menschen sie zum Leben brauchen. Ich würde mich generell nicht als sonderlich spirituellen Menschen bezeichnen, aber in dieser Atmosphäre und der Dunkelheit, die uns umgibt, auf dem Felsen, der die Sonnenstrahlen des Tages gespeichert hat und uns von unten wärmt, haben die Worte etwas Magisches und bewegen uns tief. Die ganze Gruppe ist so still wie noch nie zuvor. Ich empfehle jedem, den ganzen Brief zu lesen, aber hier ein kleiner Auszug:

“This we know: the Earth does not belong to man, man belongs to the earth. All things are connected like the blood that unites us all. Man did not weave the web of life, he is merely a strand in it. Whatever he does to the web, he does to himself.
Your destiny is a mystery to us. What will happen when the buffalo are all slaughtered? The wild horses tamed? What will happen when the secret corners of the forest are heavy with the scent of many men and the view of the ripe hills is blotted with talking wires? Where will the thicket be? Gone! Where will the eagle be? Gone! And what is to say goodbye to the swift pony and then hunt? The end of living and the beginning of survival.”

Chief Seattle, 1854

Natürlich geht es in dem Brief um die Wildnis Amerikas, aber die Worte tragen Wahrheit für wilde Orte auf der ganzen Welt. Orte, von denen es nur noch viel zu wenige gibt. Aber wir haben das große Glück, einen von ihnen unser temporäres Zuhause nennen zu dürfen.

Im Licht unserer Stirnlampen machen wir uns dann über das mitgebrachte Abendessen her, das mit kalten Nudeln und Sauce zwar recht sparsam ausfällt, aber wir genießen es zu sehr, hier draußen zu sein um uns daran zu stören.
Als Nici und ich mit unseren Tellern auf einen Felsvorsprung zusteuern, um uns dort zum Essen niederzulassen, ruft Norman uns zu sich rüber. “Schaut euch mal diesen Mond an.” Unsere Blicke folgen seinem ausgestreckten Arm. Durch eine perfekte Lücke in den dichten Bäumen sehen wir einen großen, orange-roten Vollmond aufgehen. Wir setzen uns gleich hier auf den Boden und schauen beim Essen zu, wie der Mond höher steigt und dabei immer weißer und immer kleiner zu werden scheint.

Nach dem Essen versammen wir uns noch ein letztes Mal, weil Craig uns ein paar Grundlagen der Astronomie beibringen möchte. Astronomie ist nur eines von unseren vielen Kursmodulen und auch wenn wir die dazugehörige Lecture noch nicht hatten, wollen wir die Gelegenheit heute nutzen. Wir legen uns also alle auf den Felsen, um in den Himmel schauen zu können, Craig sitzt auf einem Stuhl in der Mitte und zeigt uns mit einem Laserpointer ein paar Konstellationen. Vor allem Orion und das Southern Cross müssen wir gut kennen. Zum Southern Cross kommen wir allerdings gar nicht mehr, weil plötzlich ein paar dicke Wolken aufziehen, die immer wieder unsere Sicht auf die Sterne verdecken. Also vertagen wir die Astronomiestunde und losen stattdessen aus, wer wann Wache halten muss. Nici und ich haben Glück und ziehen die zweite Schicht, von 22 bis 23 Uhr.
Es ist gerade mal neun, aber ich bin schon völlig erledigt, schließlich sind wir schon wieder seit 4 Uhr wach und die Hitze raubt mir jede Energie. Ich beschließe also, mich bis zu unserer Schicht schonmal kurz schlafen zu legen und mache es mir auf meiner Matte bequem. Nach nicht einmal einer halben Stunde wache ich allerdings auf, weil ich laute Stimmen höre. Noch bevor ich meine Augen öffne, höre ich, was die Aufregung verursacht: Das rauhe, sägende Geräusch eines Leoparden. Es dauert allerdings nicht lange, dann ist es wieder still und wir wissen, dass der Leopard alles andere als scharf auf eine ganze Gruppe Menschen ist und nicht nah an uns heran kommen wird.

Um zehn lösen Nici und ich die erste Wachschicht ab und setzen uns ans Feuer. Die Aufgabe ist ziemlich einfach: Das Feuer am Leben halten und alle 15 Minuten eine Runde mit dem Spotlight um das Lager gehen und nach reflektierenden Augen suchen. Das Gerücht, dass gelbe Augen ungefährlich seien und rote Augen auf Raubtiere hinweisen, ist übrigens Quatsch. Die Augen jedes Tieres können je nach Lichtverhältnissen gelb oder rot leuten. Selbst die Nyalas im Camp haben uns schon so manchen Schreck eingejagt, wenn ihre Augen unser Taschenlampenlicht rot zurückwerfen.
Als wir am Feuer sitzen und uns unterhalten, hören wir plötzlich wieder ein rauhes, sägendes Geräusch. Wir schauen uns an und denken beide dasselbe: Leopard. Und zwar verdammt nah. wir leuchten um uns herum, können aber nichts entdecken. Wir machen eine erneute Runde um das Lager, jede in eine andere Richtung und treffen uns auf halber Strecke. Nichts. Dann wieder das Geräusch, diesmal hinter uns. Wir drehen uns erschrocken um. Nichts. Langsam schlängeln wir uns durch unsere schlafenden Mitschüler zurück zum Feuer. Plötzlich ertönt das Geräusch wieder, diesmal direkt neben uns und wir springen vor Schreck fast in die Luft. Wir leuchten in die Richtung und das Licht unserer Taschenlampen fällt auf Craig. Das Geräusch ertönt erneut und dazu hebt sich Craigs runder Bauch. Wir pressen uns die Hände vor den Mund um nicht laut los zu lachen. Sein Schnarchen hat uns fast zu Tode erschreckt! Mit wild pochenden Herzen gehen wir zurück zum Feuer und kichern vor uns hin. “Der hat echt Nerven, mit so einem Schnarchen mit auf einen Sleepout zu kommen!”, lache ich. “Er hätte uns wenigsten vorher warnen können!”, sagt Nici.
Kurz vor Ende unserer Schicht hören wir dann die geisterhaften “Woo-oop”-Rufe von ein paar Hyänen. Das ist keine große Überraschung, Craig hat uns erzählt, dass die Hyänen vermutlich ganz in der Nähe ihren Bau mit Jungtieren haben. Sie sind sicher gerade auf der Jagd und etwas verwirrt von unserer Anwesenheit. Wir hoffen, dass sich ein paar von ihnen zeigen werden, aber die Hyänen bleiben vom dichten Busch versteckt.

Um 23 Uhr übergeben wir an Mika und Moritz, die ohnehin noch wach sind und ebenfalls am Feuer sitzen, und legen uns auf unsere Matten. Es ist inzwischen endlich etwas abgekühlt und es weht ein frischer Wind. Ich schlafe sofort ein, wache aber knapp eine Stunde später wieder auf. Diesmal nicht von Stimmen, sondern von Regentropfen, die auf mir landen. Ich sehe, wie auch alle anderen um mich herum wach werden und sich unsicher anschauen. Es sind nur ein paar Tropfen und wir wissen nicht, ob wir abwarten oder unsere Sachen packen sollen. In der Ferne sehen wir dichte Wolken, die immer wieder durch Blitze erleuchtet werden. Kurz darauf kommt von den Instructors die Ansage, die niemand von uns hören will: Wir sollen unsere Sachen packen und fahren zurück ins Camp. Wir sind unglaublich enttäuscht. Alle haben sich so darauf gefreut, eine ganze Nacht hier draußen zu verbringen und erst zum Frühstück zurück zu fahren. Aber Norman erklärt uns, dass es zu gefährlich ist, vor allem mit den Gewehren bei Gewitter im offenen Gelände…
Wir tun also wie uns geheißen, rollen im Rekordtempo unsere Matten und Schlafsäcke zusammen und werfen alles auf den Anhänger. Nach nur fünf Minuten sitzen wir alle wieder auf den beiden Landys. Erst jetzt merken wir, dass der Regen schon wieder aufgehört hat und haben kurz die Hofffnung, dass wir doch bleiben können. Aber das ferne Gewitter zuckt immer noch bedrohlich über den Baumwipfeln und kann jeden Moment zu uns rüber geblasen werden.
Enttäuscht treten wir dem Heimweg an. Zurück im Camp werfen wir nur unsere Ausrüstung in die Ecke und gehen sofort schlafen.

Das Gewitter kommt nicht zu uns rüber, wir hätten also locker draußen bleiben können, aber hinterher ist man ja bekanntlich immer schlauer. Und auch wenn die Enttäuschung erstmal groß ist, wissen wir, dass in jedem Camp mindestens ein Sleep out geplant ist und freuen uns einfach schon auf den nächsten.