Um kurz vor drei werde ich wach und muss dringend zur Toilette. Ich bin aber nicht sicher, ob ich davon aufgewacht bin oder von den Rufen der Hyänen, die ich im selben Moment ganz in der Nähe höre. Und zwar ganz, ganz nah. Sie scheinen auf der kleinen offenen Fläche zwischen dem Wasserloch und unserem Zelt zu sein und klingen sehr unzufrieden. Nicht, dass Hyänen normalerweise sonderlich glücklich klingen, aber irgendetwas scheint sie heute besonders zu stören. Ich liege eine Weile lang wach und versuche, wieder einzuschlafen, allerdings ohne Erfolg. Ich wäge ab, ob ich zur Toilette gehen soll. Unser Zelt liegt zwar am nächsten am Wasserloch, damit aber auch am weitesten von den Duschen und Toiletten entfernt. Genau wie an unserem ersten Morgen in Pridelands, bin ich auch jetzt nicht scharf darauf, den Hyänen alleine in der Dunkelheit zu begegnen. Andererseits würde ich vor der Prüfung gerne noch ein paar Stunden schlafen. Schließlich entscheide ich mich den Trip durchs dunkle Camp zu wagen und setze mich auf. In diesem Moment lassen die Hyänen plötzlich noch lautere Rufe hören und wenige Sekunden später sehe ich durch das Netz der Zeltwand eine dunkle Silhouette, die direkt an unserem Zelt vorbei schnellt, begleitet von dem dumpfen Geräusch großer Tatzen, die schwer auf dem Schotter aufsetzen. Selbst das Knirschen der Steine kann ich hören. Nun wird auch Nici wach und sieht mich wie versteinert auf meiner Bettkante sitzen. “Was ist lo-“, setzt sie an und wird direkt durch die nächsten lauten Rufe der Hyänen unterbrochen. Eine Minute sitzen wir still da und lauschen den Rufen der Hyänen. Darunter mischt sich nun ein anderes Geräusch, das klingt wie ein tiefes, grummelndes Blöken, ähnlich wie von einem Büffel. “Irgendwie will ich nachschauen, aber irgendwie auch nicht”, sagt Nici. Ich kann sie nur zu gut verstehen. Schließlich siegt die Neugierde.
Wir schnappen unsere Taschenlampen und schleichen nach draußen. Wir steuern direkt auf den Zaun zu und wie erwartet, sehen wir im Mondschein ein paar Hyänen auf der anderen Seite. Es sind mindestens fünf, die wir sehen können, zwei von ihnen laufen am gegenüberliegenden Ufer des Wasserlochs entlang und die anderen drei finden wir auf halber Strecke zwischen uns und dem Wasser. Als wir auf sie zu kommen, schauen sie in unsere Richtung und ihre Augen werfen das Licht unserer Taschenlampen wie Scheinwerfer zu uns zurück. Es ist ein unheimliches Bild und ich bekomme Gänsehaut am ganzen Körper. Nici bleibt stehen, ich gehe noch ein paar Meter weiter, bis ich direkt am Zaun stehe. “Vorsicht”, flüstert Nici, als eine weitere Hyäne auftaucht und auf mich zu kommt. “Ich seh sie”, sage ich und scheine meine Taschenlampe in ihre Richtung. Sie bleibt ca. zehn Meter vor mir stehen, ein paar Sekunden lang schauen wir uns an, dann wendet sie sich ab und geht zu den Anderen.
Inzwischen sind auch unser Mitschüler James und Social Media-Beauftragter Nick aufgestanden und stehen ein Stück weit entfernt ebenfalls am Zaun. Wir können uns so recht keinen Reim auf das Verhalten der Hyänen machen. Sie laufen rastlos auf und ab und stoßen unzufriedene Rufe aus. Wir beobachten sie ein paar Minuten lang, dann gehen wir zur Toilette und schließlich wieder ins Bett. Die Rufe der Hyänen hören aber nicht auf und es ist schwierig wieder einzuschlafen.
Nici und ich liegen nur wenige Minuten, da hören wir wieder das seltsame Büffel-ähnliche Geräusch. Wieder sitzen wir beide aufrecht im Bett. Dann hören wir lautes Platschen im Wasser. Was zur Hölle ist da draußen nur los? Flüsternd stellen wir wilde Theorien auf. Dann ertönen ein paar eindeutigere Geräusche: Wir hören, wie etwas ins Wasser läuft und dann folgt ein markerschütternder Schrei. Auch wenn wir das Geräusch noch nie gehört haben, wissen wir direkt: Dieses Tier hat starke Schmerzen! Nici und ich schauen uns erschrocken an. “Glaubst du, da wird was getötet?”, frage ich. Nici zuckt mit den Achseln, “Willst du nachsehen gehen?”. Ich greife als Antwort nur meine Taschenlampe und stehe auf.
Zum zweiten Mal in dieser Nacht öffnen wir den Reißverschluss unseres Zeltes und schlüpfen hinaus in die Dunkelheit. Wir hören noch immer lautes Platschen im Wasser und gehen diesmal direkt auf den Tisch zu, der am Zaun steht. Hier sind wir dem Wasser am nächsten und haben einen guten Blick über das ganze Wasserloch. Auch James und Nick kommen nur wenige Sekunden später wieder dazu. Im Schein unserer Taschenlampen sehen wir im Wasser die Hyänen und – sonst nichts. Zu unserer Überraschung kämpfen die Hyänen gar nicht mit einem Beutetier. Sie kämpfen miteinander. Beziehungsweise scheinen alle auf eine von ihnen los zu gehen. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, als wir mit ansehen, wie die Hyäne versucht, den Aggressoren im Wasser zu entkommen. Die holen sie aber schnell ein und sie versinkt in einem chaotischen Knubbel aus Tatzen und aufgerissenen Mäulern. Wieder stößt die Hyäne einen lauten Schmerzensschrei aus, der über das Wasser zu uns getragen wird und mir durch Mark und Bein geht. Schließlich scheint der Mob aufzugeben und die einzelne Hyäne bahnt sich ihren Weg durchs Wasser, direkt auf uns zu. Genau vor uns, nur knappe fünf Meter und drei Drahtseile von uns entfernt, schleppt die Hyäne sich aus dem Wasser an Land. Ihr klatschnasses Fell klebt an ihrem Körper und lässt sie bemitleidenswert aussehen. “Holy shit”, sagen wir alle gleichzeitig, als die Hyäne sich ein Stück zur Seite dreht und wir eine klaffende Wunde an ihrer linken Schulter sehen. Sie schenkt uns keinerlei Beachtung, als sie an uns vorbei humpelt und schließlich in der Dunkelheit verschwindet.
Kurz stehen wir noch da und warten, was passiert. Aber die anderen Hyänen machen keine Anstalten, dem verletzten Tier zu folgen und so gehen wir wieder in unsere Zelte. Es ist inzwischen fast vier Uhr und in wenigen Stunden schrieben wir die alles entscheidende Prüfung. Nici und ich liegen noch ein paar Minuten wach und rätseln, was die Hyänen dazu gebracht hat, auf einander los zu gehen. Haben sie um einen Kadaver gekämpft, den wir nicht sehen konnten? War die Hyäne von einem anderen Clan und wurde deswegen vertrieben? Wir gestehen uns ein, dass wir es wohl nie erfahren werden und können schließlich noch ein paar Stunden schlafen.