Ich weiß inzwischen, was unsere vorherigen Instructors meinten, als sie gesagt haben, dass uns Elefanten und Löwen in Pridelands irgendwann zum Hals raus hängen würden. Elefanten kommen mehrmals täglich zu unserem Wasserloch am Camp und auch die Löwen finden wir vor allem in den ersten zwei Wochen sehr häufig. Ich kann die Aussage allerdings nicht bestätigen. Mir zaubert es immer noch jedes einzelne Mal ein breites Lächeln ins Gesicht, wenn die Elefanten auf ihrem Weg zum Dam an unserem Zelt vorbei gehen, wenn ich am Wasserloch sitze und sie zum Trinken kommen oder auch, wenn wir sie nur im Hintergrund Planschen oder sogar Trompeten hören. Auch unsere Löwen-Sightings werden mit der Zeit immer besser, weil wir die Löwen nun seltener am Nachmittag sehen, wenn sie nur rumliegen, dafür aber häufiger am Abend, wenn sie aktiv werden. Schon mehrmals sind wir den Löwen nach Sonnenuntergang mit dem Wagen gefolgt und haben ihnen im Schein unseres Spotlights dabei zugesehen, wie sie sich aufraffen, zum Trinken zu einem der Wasserlöcher gehen und dann zur Jagd aufbrechen. Wenn so eine große Katze im Scheinwerferlicht direkt vor oder neben unserem Wagen her läuft, ist das immer ein Gänsehautmoment.
Viel zu schnell vergeht die Zeit und in wenigen Tagen stehen die ersten Prüfungen an. Ich bin heute wieder als Guide dran. Einige meiner Mitschüler möchten lieber im Camp bleiben und für die Theorieprüfung lernen und ich bin einmal mehr froh, dass wir mit dem Lernen recht früh angefangen haben. So müssen wir jetzt keine Activities auslassen und können jede Minute da draußen genießen, die wir kriegen können.
Unser Instructor Jon-Jon ist heute wieder mit uns unterwegs. Wir haben zwar zwischen der theoretischen und der praktischen Prüfung ein paar Tage Zeit, aber wahrscheinlich werde ich in dieser Zeit keinen Drive mehr guiden können. Dies ist also meine letzte Chance zu üben. Jon-Jon sitzt heute hinten im Wagen, wo hinterher auch der Prüfer sitzen wird, Nici sitzt neben mir auf dem Beifahrersitz, denn sie ist meine Navigatorin und wird dies auch bei meiner Prüfung sein. Als all meine heutigen Gäste an Bord sind, stelle ich mich als ihr Guide vor und sage dann mein Safety-Briefing auf. Ich frage die Interessen meiner Gäste ab und bekomme die üblichen Antworten: “Raubtiere”, “Bäume”, “Elefanten”, etc. Als ich mögliche Ängste und Phobien Abfrage, sagt Jon-Jon plötzlich: “Ich hab riesige Angst vor Elefanten”. “Okay”, sage ich. Ich weiß genau, dass er mich testen will. Es kann natürlich immer vorkommen, dass ein Safari-Gast Angst vor einem bestimmten Tier hat. Wahrscheinlich ist es auch noch ausgerechnet ein Tier, das ein anderer Gast unbedingt sehen will. Damit muss man als Guide dann umgehen können. “Wir haben Elefanten hier im Reserve und sie halten sich auch gerne in der Nähe auf, die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass wir auf welche treffen werden”, sage ich zu Jon-Jon. “Ich werde aber genug Abstand halten und nichts tun, was dir unangenehm ist. Ich werde dich einfach durch das Sightings leiten, ist das für dich in Ordnung?”. Jon-Jon nickt zufrieden und lächelt. Ich beende mein Briefing und will mich gerade auf den Fahrersitz schwingen, da spricht Jon-Jon wieder, diesmal aber als mein Instructor, nicht mehr als mein “Gast”. “Safety Briefing”, sagt er, macht eine Pause und streckt beide Daumen nach oben, “perfekt. Es ist flüssig, du stammelst nicht rum, du bist selbstbewusst. Ich weiß als Gast direkt, dass du der Boss bist. Super! Fahren wir los”. “Danke”, sage ich lächelnd und setze mich hinters Lenkrad.
Ich steuere den Landy aus dem Camp auf die Schotterpiste und biege rechts ab. Wir fahren kaum 200 Meter, als am linken Straßenrand ein Elefantenbulle steht. Klar, denke ich, das musste ja passieren. Aber eigentlich freue ich mich natürlich, ihn zu sehen. Ich halte in einiger Entfernung an und drehe mich zu meinen Gästen um. “Jon-Jon, du sagtest ja, dass Elefanten dir nicht so geheuer sind. Dieser Bulle hier ist ganz entspannt und stört sich überhaupt nicht an uns. Das sieht man an seiner Körpersprache und daran, dass er weiter frisst. Ist dieser Abstand ok für dich?”. Jon-Jon nickt und gibt mir wieder ein Thumbs up. “Super gemacht, Alliecat!” Ich weiß nicht mehr, wann er angefangen hat mich so zu nennen. “Ich wollte nur sehen, ob du dran denkst und wie du so eine Angst bei einem Gast händelst. Toll gemacht! Jetzt mach einfach weiter wie ein ganz normales Sighting”. Wir beobachten den Bullen eine Weile und meine Gäste schießen Fotos, dann fange ich an zu erklären was er tut und verbinde das mit weiteren interessanten Fakten über Elefanten. Dann kommen noch zwei weitere Bullen hinzu und gehen völlig ungestört nah an unserem Wagen vorbei. Meine Gäste stellen viele Fragen zu den Elefanten, “Wie alt werden Elefanten?”, “Wann verlassen sie die Herde?”, “Woran sterben Elefanten?”. Das Beste ist, dass heute ein paar Leute meine Gäste sind, die noch nie oder nur ganz selten mit mir als Guide unterwegs waren. Sie stellen also nicht nur Fragen, von denen sie wissen, dass ich die Antwort definitiv kenne. Wie schon auf meinem ersten Drive in Pridelands, kann ich alle Fragen beantworten und habe einen riesen Spaß dabei. Auch für dieses Sighting bekomme ich ein Thumbs up von Jon-Jon und als die Elefanten tiefer in den Busch ziehen, fahren auch wir weiter.
Der Drive läuft super. Wir sehen interessante Tiere und wie sie miteinander interagieren und ich kann alles zur Zufriedenheit meiner Gäste erklären. Wir beobachten eine Familie Dwarf Mongooses, zusammen mit einem Paar Southern yellow-billed hornbills. Von dieser Symbiose habe ich bisher nur gelesen und es ist toll, die Tiere endlich mal zusammen zu sehen.
Wir sehen die üblichen Impalas, Zebras und Giraffen, zu denen es immer viel zu erzählen gibt. An unserem Sundowner Spot serviere ich meinen Gästen ihre bestellten Drinks und wir genießen den Sonnenuntergang. Danach wird es interessant, denn sobald die Sonne untergeht, fahren wir mit einem Spotlight. Das benutzt normalerweise die Person im Tracker Seat und leuchtet damit von rechts nach links und hoch in die Baumkronen und hält nach Tieren bzw. deren reflektierenden Augen Ausschau.
Heute will Jon-Jon aber, dass ich selbst beim Fahren spotte. In der praktischen Prüfung müssen wir das auch selber machen, jedenfalls für die ersten paar Minuten, dann können wir das Spotlight an eine andere Person weitergeben. Ich lenke also mit der linken Hand, halte das Spotlight in der Rechten und scheine hin und her. Dabei versuche ich mein Bestes, ab und zu auch noch zu schauen, wo ich hin fahre, habe aber einen starken Linksdrall. Ich habe plötzlich großen Respekt davor, wie einfach die Instructors das immer aussehen lassen. Das batteriebetriebene Spotlight ist außerdem ziemlich schwer und nach ein paar Minuten muss ich meinen Ellenbogen auf der Fahrertür abstützen, um überhaupt weitermachen zu können. Dann erlöst Jon-Jon mich und ich darf das Spotlight an Nici weitergeben.
Zurück im Camp bugsiere ich den Landy in die Garage, bedanke mich bei meinen Gästen für den schönen Drive und bitte sie um Feedback. “Es war perfekt”, sagt Moritz. “Ja, mega gut”, fügt Anka hinzu, “Ich selbst hab neue Dinge gelernt, vor allem über die Elefanten”. Mir ist so viel Lob schon unangenehm und ich bedanke mich bei allen. Jon-Jon bittet mich, noch eine Minute zu bleiben, damit er mir in Ruhe sein Feedback geben kann. Er legt das Spotlight so auf die Motorhaube, dass es an die Decke strahlt und wir wenigstens ein bisschen Licht in dem sonst vollkommen dunklen Carport haben. Ich stehe noch immer an der Fahrertür, Jon-Jon lehnt sich mir gegenüber an die Beifahrertür. Als meine Mitschüler außer Hörweite sind, sagt er: “Das war großartig. Wenn das hier deine Prüfung gewesen wäre, hättest du locker bestanden. Denk für die Prüfung nur an Kleinigkeiten, dass du zum Beispiel deinen Gästen Hilfe beim Aussteigen aus dem Wagen anbietest und sowas. Aber ansonsten top! Mach das nächste Woche einfach genau so”. Ich freue mich zwar sehr über das Lob, habe aber auch einen anderen Gedanken im Kopf. “Was ist los?”, fragt Jon-Jon. Es ist erschreckend, wie gut er mich schon seit unserem ersten gemeinsamen Drive zu kennen scheint. “Naja”, sage ich, “ich spiele ja Theater und wenn die Generalprobe da gut ist, dann-“. “Ok, nein”, unterbricht Jon-Jon mich direkt, “so fangen wir gar nicht erst an. Nimm heute einfach als Beweis, dass du das hier kannst. Und ich weiß, dass du das kannst. Hast du inzwischen entschieden, ob du hieraus eine Karriere machen willst?”.
Diese Frage hat er mir auf meinem ersten Drive in Pridelands schon gestellt und ich konnte sie nicht sicher beantworten. Oder besser gesagt, ich habe mich nicht getraut, sie zu beantworten. Die Wahrheit ist, dass mir das Leben hier im Busch und das Guiding so großen Spaß macht, dass ich mir inzwischen gar nichts Anderes mehr vorstellen kann. Aber irgendwie traue ich mich nie, dass so direkt zu sagen. Der Realist in mir weiß eben, dass es für mich als Deutsche unglaublich schwierig wäre, in der Safari-Industrie Arbeit zu finden. Wahrscheinlich habe ich einfach Angst, dass ich mir zu große Hoffnungen mache, sobald ich meinen Wunsch ausspreche und es am Ende nicht klappt, deswegen sage ich lieber, dass ich mir noch nicht sicher bin.
“Ähm”, druckse ich auch diesmal rum, “Also vorstellen könnte ich es mir schon…”. “Lass mich dir was sagen”, unterbricht Jon-Jon mein Gestammel, “Du hast das Zeug zu einem großartigen Guide. Du lernst schnell und hast dir in den letzten Wochen unglaublich viel Wissen angeeignet. Du hast gute People Skills und gehst auf deine Gäste ein. Und wenn du weiterhin hart arbeitest und dich auch in einem Lodge-Umfeld beweisen kannst, ist die Welt deine Auster.” Ich habe das Gefühl, dass ich antworten sollte, habe aber einen dicken Kloß im Hals. Jetzt bin ich dankbar für das schwache Licht im Carport, weil ich nicht weiß, wie mein Gesicht gerade aussieht. “Danke Jon-Jon”, bringe ich dann heraus, “das bedeutet mir wirklich viel”.