Eines Abends bekommen unerwarteten Besuch. Wir sitzen beim Abendessen unter dem Jackelberry Baum am Flussbett und alle tauschen sich über die Erlebnisse des Tages aus. Nici und ich sitzen mit Jenny und Daniel an einem Tisch und quatschen, bis wir plötzlich ein Rascheln im Schilf hören. Sofort unterbrechen wir unser Gespräch und ich greife meine Taschenlampe, um in Richtung des Geräuschs zu leuchten. Dort ist nichts zu sehen, aber wir hören wieder ein Rascheln. Nun werden auch unsere Mitschüler und Instructors aufmerksam und die Gruppe wird still. Ich leuchte weiter in die Richtung, aus der die Geräusche kommen und wir sehen das hohe Schilf hin und her schwanken, erst ca. zwanzig Meter entfernt und dann immer näher. Inzwischen sind alle aufgestanden, um zu sehen, wer uns da besuchen kommt, da erscheinen im Licht meiner Taschenlampe zuerst zwei riesige weiße Stoßzähne und schließlich der dazugehörige Elefant. Es ist ein stattlicher Bulle, der langsam an uns vorbei schlendert und sich dabei genüsslich eine Portion Gras und Blätter nach der anderen in den Mund schiebt. Er ist wahrscheinlich der schönste Elefant, den ich jemals gesehen habe. Seine Stoßzähne sind so lang, dass sie fast bis zum Boden reichen, wenn er nur ein wenig seinen Kopf senkt. Ich habe Gänsehaut am ganzen Körper. Wir lassen ihn an uns vorbei ziehen und er steuert zielstrebig auf die Marulabäume zu, die ein paar Meter weiter am Fluss entlang stehen.
“Das ist Flippy”, sagt Craig leise. “Flippy?”, wir schauen ihn verständnislos an. Dieser Name passt so gar nicht zu dem beeindruckenden Bullen, der gerade an uns vorbei geschritten ist. Dann erzählt Craig uns, dass Flippy seinen Namen daher hat, dass er damals gerne mal Fahrzeuge umgeschmissen hat. Falls wir noch einen Reminder brauchten, dass die Tiere, die in unser Camp kommen, wild sind und wir ihnen mit allem Respekt begegnen sollten, hat Craig den wohl gerade geliefert. Er erzählt uns aber auch, dass Flippy inzwischen aus seiner schlechten Angewohnheit rausgewachsen ist, was uns sehr beruhigt.

Mit ausreichend Abstand folgen wir Flippy zu den Bäumen und schauen zu, wie er genüsslich bestimmt hundert unserer Marula-Früchte verspeist. Wir können hören, wie er die saftigen Früchte zerkaut und dabei immer wieder ein tiefes Grummeln ausstößt. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir dort auf dem Boden hocken, aber ich könnte noch ewig dort bleiben und Flippy einfach nur zuschauen. Irgendwann hören wir weitere Geräusche aus dem Flussbett und den Büschen und vermuten, dass noch mehr Elefanten kommen. Damit sich die Erfahrung der Anderen von neulich nicht wiederholt und die Elefanten uns den Weg zu unseren Zelten abschneiden, entscheiden wir, Flippy mit seinen Marulas allein zu lassen und schlafen zu gehen.
Am nächsten Morgen ist kein Elefant mehr zu sehen, nur haufenweise Spuren im sandigen Boden und auffällig wenig Marula-Früchte unter den Bäumen. Zum Glück hat Flippy sich von unseren Wasserleitungen ferngehalten.

Flippy lässt sich die Marulas schmecken

Am folgenden Morgen eröffnet uns Craig, dass in den nächsten Tagen ein neuer Instructor zu uns kommen wird. Wenn dann auch Norman in ein paar Tagen zurück ist, haben wir also drei Instructors und können uns in drei Gruppen aufteilen. Das ist angesichts unserer Gruppengröße eine großartige Idee. Wir sind immerhin 17 SchülerInnen, das heißt, dass jeder nur ca. alle fünf Tage mal guiden kann. In diesem Tempo bekommen wir einfach nicht die nötige Übung bis zur Prüfung. Außerdem ist ein Walk mit so einer großen Gruppe schwierig, weil man ständig warten muss und wenn wir uns etwas anschauen, können kaum alle sehen. Wir alle begrüßen also die Idee, dass sich unsere Gruppen verkleinern.

Inzwischen haben wir alle einen oder zwei Drives und Walks als Guides geleitet. Dass wir Schüler nun guiden, bedeutet aber auch, dass wir auf den Drives fast nichts Neues mehr lernen. Wir alle liefern mehr oder weniger dieselben Infos zu denselben Bäumen, Blumen und Tieren. Dazu kommt, dass Glauco und Susanne oft nicht mit auf die Drives oder Walks kommen, weil sie noch Zeit brauchen, den Stoff aus der Lecture des Vortags nachzuarbeiten. Das kann ich einerseits verstehen, denn der Stoff ist wirklich nicht immer leicht und vor allem unglaublich viel. Noch dazu haben beide große Probleme mit der englischen Sprache, gerade mit den ganzen Fachbegriffen, die sie noch nie gehört haben. Andererseits passiert das meiste Lernen natürlich gar nicht im Klassenraum, sondern da draußen, im Busch, in der Umgebung, über die wir lernen. Wir sehen, riechen, fühlen (und teilweise schmecken) die Pflanzen und beobachten die Tiere in ihrer natürlichen Umgebeung, nur so können wir das alles lernen und uns auch besser merken. Auch die Instructors haben schon mit den beiden darüber geredet, aber sie wollen einfach nicht an allen Activities teilnehmen.
Ich habe damit generell kein Problem, allerdings wird es für den Rest der Gruppe echt anstrengend, wenn wir eine Planze oder ein Tier zum wiederholten Male sehen und nur kurz im Vorbeigehen erwähnen und für eine oder zwei Personen sind das völlig neue Informationen und wir müssen komplett von vorne anfangen und noch dazu alles buchstabieren.

Das mag jetzt arrogant klingen, aber ich bin so froh, dass ich erstens richtig gut Englisch kann und zweitens schon viel über Safari und die Tiere hier wusste, als ich kam. Das Wissen habe ich aus allen möglichen Dokus, von den Safaris, die ich selbst vor Jahren gemacht habe, aus Büchern und von dem Safari-Livestream, den ich während des Lockdowns mindestens einmal am Tag geschaut habe (übrigens große Empfehlung, wenn du dir ein bisschen Safari-Feeling nach Hause holen möchtest, einfach täglich bei WildEarth auf YouTube oder in der App vorbei schauen).
Ich bin immer noch schockiert, dass wir Mitschüler haben, die eine Karriere als Guide anstreben, aber noch nie in Afrika waren, nur gebrochen Englisch sprechen und überhaupt gar kein Vorwissen mitbringen. Einer von ihnen wusste bis zum fünften Kurstag nicht, was ein Impala ist. (Falls du schonmal in Afrika warst, weißt du das sicher. Falls nicht, das ist so ziemlich die häufigste Antilopenart hier und die gibt es wie Sand am Meer.)

Craig versammelt uns alle im Lecture Room und wir losen die drei neuen Gruppen aus. Ich freue mich riesig über unsere Gruppe: Nici, Jenny, Anka, Coneth und James. Glück gehabt, denke ich. Wir gehören zu den Besten der Klasse und ich habe die Hoffnung, dass wir in dieser Konstellation wieder schneller voran kommen und uns neuen Dingen widmen können, statt immer wieder dieselben Infos wiederzukäuen.

Wenige Tage später ist es dann so weit und unser dritter Instructor kommt. Bzw. eine Instructorin, ihr Name ist Lynne. Sie hat sich mit ihrem eigenen Guiding-Unternehmen selbstständig gemacht und hilft gelegentlich für EcoTraining aus, wenn dort Instructors fehlen. Mit Lynne’s Ankunft erhalten wir allerdings auch ernüchternde Neuigkeiten von Craig. Als wir draußen beim Abendessen sitzen, stellt er sich vor die Gruppe und verkündet zuerst, dass Lynne nur zwei Tage bei uns bleiben wird. Wie es danach weitergeht, weiß noch niemand. Und dann eröffnet er uns plötzlich, dass er eine neue Gruppeneinteilung für uns vorgenommen hat, wir werden also nicht in den Gruppen weitermachen, die wir neulich ausgelost haben. Ein unverständliches Raunen geht durch die ganze Gruppe, als Craig die neue Aufteilung verliest. Ich freue mich, dass ich immer noch mit Nici zusammen bin und auch Louie ist bei uns, dazu allerdings auch Susanne, Glauco und Mika.
Ich versuche, meine Enttäuschung zu verstecken und und werfe Nici nur einen vielsagenden Blick zu, sie schaut genauso enttäuscht zurück.

Wir haben ehrlich gesagt keine Lust darauf, alles zig Mal zu wiederholen, bis es auch die letzten aus der Gruppe verstanden haben, wenn wir das Gefühl haben, dass sie dafür nicht 100% Einsatz geben. Nicki, Louie und ich lernen alle drei schnell und haben im Gegensatz zu den anderen auch keine Sprachbarriere. Aber wenn zwei Leute entscheiden, die Activities nicht mitzumachen, auf denen wir Neues lernen, bremst das die Gruppe insgesamt doch stark aus. Und wir haben alle eine Schweinemenge Geld bezahlt, um hier zu sein und das Beste aus unserer Erfahrung hier zu rauszuholen.
Nachdem wir uns ein bisschen ausgekotzt haben, einigen wir uns schlussendlich darauf, dass wir erstmal abwarten, wie es wirklich wird. Müssen wir wohl.

Nach ein paar Tagen verlässt unser Vertretungs-Instuctor Raymond uns wieder und dafür kommt Norman zurück. Auch wenn Raymond in den letzten Tagen etwas aufgetaut ist und wir uns ganz gut mit ihm arrangiert haben, freuen wir uns riesig, Norman zurück zu haben! Die Walks waren ohne seinen Enthusiasmus, seinen Humor und seine lustigen Geräusche einfach nicht dasselbe.
Aber das Instructor-Bäumchen-wechsel-dich hört nicht auf. Auch Lynne verlässt uns wie geplant nach nur zwei Tagen, dafür kommt spontan ihr Ehemann Michael für die nächsten zwei Tage zu uns.
Langsam sind wir von dem ständigen Wechseln der Lehrer ziemlich genervt. Das liegt nicht an den Menschen, sie alle sind furchtbar nett. Aber es ist doch anstrengend, sich ständig auf neue Instructors einzustellen, sie kennenzulernen, sie auf Stand zu bringen, was wir schon wissen und was nicht und dann sind sie nach wenigen Tagen wieder weg. Die allgemeine Stimmung im Camp war also schon mal besser.

Trotzdem haben wir mit Michael dann den besten Tag seit Langem. Er ist heute unser Instructor für den Afternoon Game Drive, Louie ist an der Reihe mit Guiden. Sowohl Susanne als auch Glauco sagen uns kurz vorher, dass sie nicht mitkommen werden, weil sie im Camp bleiben und lernen möchten. Die Chance lassen Nici, Louie und ich uns nicht entgehen. Wir drei haben einfach keine Lust mehr, auf unseren Drives immer wieder dasselbe zu erzählen und so zu tun, als wären das völlig neue Informationen für unsere Mitschüler, wenn wir genau wissen, dass sie das auch schon zwanzig Mal gehört haben.

Als wir Michael am Wagen treffen, eröffnet Louie ihm unsere Idee: “Wir möchten Neues lernen. Deswegen dachten wir uns, dass ich heute quasi nur den Fahrer spiele und nicht wirklich guide. Und wenn wir Bäume, Tiere oder sonst was sehen, was wir noch nicht kennen, erklärst du sie uns. Wir brauchen dringend neuen Input!” Michael scheint erst skeptisch, lässt sich dann aber darauf ein, unter der Bedingung, dass er uns unterwegs über die Dinge ausfragen darf, die wir schon wissen oder wissen sollten.
Louie schwingt sich hinter das Lenkrad uns ich klettere auf den Beifahrersitz, um zu navigieren, Michael möchte lieber hinter uns sitzen und er kennt das Reserve ohnehin nicht gut.
Wir haben noch nicht mal den Wendekreis verlassen, da fragt uns Michael schon zu jedem Baum in Sichtweite, welcher es ist, wie wir ihn erkennen und welche Nutzen er hat. Ganz so hatten wir uns den Drive zwar nicht vorgestellt, merken aber schnell, dass es sehr gut tut, mal wieder über das alles zu sprechen, ohne darauf bedacht zu sein eine besonders unterhaltsame und lehrreiche Erfahrung für unsere “Gäste” zu kreieren. Dieser Drive ist einfach nur für uns und wir tragen alle Fakten zusammen, die wir in den letzten Wochen gelernt haben.
Wir genießen den Drive in vollen Zügen und fahren durch einen Teil des Reserves, in dem wir noch nicht oft waren. Ich lotse Louie von einem Wasserloch zum nächsten, in der Hoffnung, dass wir dort die beste Chance auf Tiere haben. Wir sehen allerdings nicht viele, nur die üblichen Impalas und einige Vögel. Trotzdem haben wir eine Menge Spaß, Michael ist ein lustiger Kerl und erzählt viel von den verschiedensten Branchen, in denen er neben dem Guiding noch tätig ist. Er lässt uns zu jedem Baum und jeder Spur, die wir finden, auflisten, was wir darüber wissen und fügt dann wertvolle Informationen hinzu. Vor allem beim Spurenlesen gibt er uns hilfreiche Tipps, wie wir zwischen verschiedenen Spiezies unterscheiden können.

Wir halten für einen Sundowner an, ich setze mich von außen auf die Fahrertür unseres Landys, Nici sitzt auf dem Tracker Seat und Michael packt einen Camping-Klappstuhl aus, von dem er uns stolz erzählt, dass er ihn selbst gebaut hat. Während der Himmel die Farben wechselt, fragen wir Michael über seinen Werdegang aus und er erzählt uns, wie seine Frau Lynne ihn zum Guiding gebracht hat und sie sich dann selbstständig gemacht haben. Die beiden leiten nun Touren in ganz Afrika und sind mehr als glücklich damit. Michael gibt uns unglaublich wertvolle Infos und Ratschläge, worauf wir achten sollen, wenn wir in die Guiding-Industrie einsteigen wollen und wie man damit Geld machen kann. Als Guide in einer herkömmlichen Lodge wird man nämlich alles andere als gut bezahlt.

Der Drive mit Michael und in unserer kleinen Gruppe hätte von mir aus noch ewig weiter gehen können, aber wir müssen pünktlich zum Abendessen zurück im Camp sein. Der Nachmittag hat unglaublich viel Spaß gemacht und es tat uns richtig gut, die Routine mal aufzulockern und etwas anders an einen Drive heran zu gehen. Wir haben das wunderbare Gefühl, in einem Nachmittag mehr gelernt zu haben als in der ganzen letzten Woche.