Dann ist es so weit und unsere praktischen Prüfungen stehen an. Wir haben Jolande natürlich schon vor ein paar Tagen gefragt, wer unsere Prüfer sein würden und wie die so sind. “Einer von ihnen wird G, bzw. Gerhard, sein”, hat sie gesagt, “der ist super nett und ein guter Freund von mir. Er ist als Prüfer auch ziemlich entspannt, da könnt ihr also ganz locker dran gehen”. “Ok, cool”, haben wir gesagt. Das waren doch gute Nachrichten. “Der andere Prüfer ist Ian”, hat Jolande dann hinzugefügt. Schon an ihrem Ton konnten wir hören, dass Ian vielleicht nicht ganz so entspannt ist. “Ian ist…by the book”, hat Jolande dann bestätigt, “er nimmt das alles ein bisschen genauer und stellt gerne mal die ein oder andere Frage. Aber auch er ist eigentlich ein netter Kerl, also lasst euch nicht verunsichern, wenn er auf eurem Drive mit steinerner Miene hinten im Wagen sitzt und sich Notizen macht”.
Natürlich hoffen wir alle seit diesem Tag, dass wir die Prüfung bei G ablegen können, niemand hat große Lust auf den strengen Ian.
Zwei Tage vor Beginn der Prüfungen reist Ian an, in Begleitung seiner Frau Jasmin. Er kommt in voller EcoTrainning Uniform und hat neben einem unglaublich festen Händedruck eine natürliche Autorität an sich, die ich anfangs etwas einschüchternd finde. Sie ist einfach so anders von der unserer bisherigen Instructors.
Ian versammelt unsere Gruppe an den Tischen, stellt sich kurz vor und teilt stapelweise Papiere aus, die wir nun gemeinsam ausfüllen. Darunter ist der mehrseitige Bewertungsbogen, auf dem die Prüfer alles an Wissen und Können abhaken, was wir in unserer Prüfung oder in den vorherigen Wochen unter Beweis gestellt haben. Da es nahezu unmöglich ist, das alles in einem dreistündigen Drive zu demonstrieren (auf einem morgendlichen Drive ist es zum Beispiel schwierig, den Sternenhimmel zu erklären), werden hierzu auch unsere Workbooks, Logbooks, Anmerkungen der Instructors und die Tests, die wir über jede Unterrichtseinheit geschrieben haben, berücksichtigt.
Ian geht jeden einzelnen Punkt auf der Liste mit uns durch und erklärt uns, was damit gemeint ist und wie wir die Punkte bekommen können. Ich weiß sofort, was Jolande meinte, als sie uns von Ian erzählt hat. Der Begriff “by the book” beschreibt ihn wirklich gut.
Am nächsten Tag kommt dann auch der andere Prüfer, G, an. Der erste Eindruck könnte nicht weiter von dem von Ian entfernt sein. G ist vielleicht Anfang vierzig und kommt in Flip Flops, einem lockeren EcoTraining-Shirt, dessen oberste Knöpfe er offen gelassen hat, pinken Shorts, Sonnenbrille und mit einem breiten Lächeln. Die Haare trägt er in einem Man-Bun mit kurz rasierten Seiten. Insgesamt sieht er eher aus wie ein Surflehrer als wie ein Safariguide-Instructor und macht einen deutlich entspannteren Eindruck.
Als wir später am Nachmittag erfahren, bei wem wir unsere Prüfung ablegen werden, kommt es wir es kommen musste: Nici, Jenny und ich haben Ian als Prüfer. War ja klar. Daniel wird die Prüfung bei G ablegen.
Die praktische Prüfung beginnt schon vor dem eigentlichen Drive. Der Prüfling muss eine Mahlzeit für seine “Gäste” (ein paar ausgewählte Mitschüler und den Prüfer) hosten und dabei den Guest Check durchführen, also ein paar Grundregeln erklären, die Interessen der Gäste abfragen etc. Dafür bauen wir zwei Tische etwas abseits vom Rest der Gruppe auf. Nici, Jenny, Daniel und ich haben schon vor einer Weile beschlossen, dass wir als Gäste auf den Drives der jeweils Anderen mitfahren würden, deswegen sind wir alle nacheinander dran. Daniel macht den Anfang. Da sein Drive morgen früh stattfindet, hostet er heute das Mittagessen. Wir sitzen also mit G an einem der separaten Tische und Daniel sagt seinen Text für den Guest Check auf, den wir in den vergangenen Wochen immer wieder geübt haben. Er macht seinen Job super und G scheint zufrieden. Als Daniel fertig ist und wir anfangen zu essen, beginnt der unangenehmste Teil des ganzen Prüfungsprozesses: Smalltalk mit den Gästen. Als wären wir echte Gäste auf Safari und hätten nicht 24 Stunden jedes Tages der letzten acht Wochen miteinander verbracht, werden Fragen gestellt wie “Bist du zum ersten Mal auf Safari?”, “Was bringt dich nach Südafrika?”, “Und was machst du beruflich?”. Die ganze Situation ist ziemlich absurd und wir müssen ständig lachen, sodass das Hosting insgesamt sehr lustig ist.
Am nächsten Morgen ist es dann Zeit für Daniels Drive und er macht seine Sache super. G sitzt in der letzten Reihe des Game Viewers und kommentiert, lacht und stellt ab und zu ein paar Fragen, die Daniel gut meistern kann. Dann tut G etwas, was uns alle überrascht: Wenn Daniel etwas nicht weiß, sagt G: “Timeout. Wir tun jetzt mal kurz so, als wäre das hier keine Prüfung”. Dann erklärt er uns in aller Ruhe, was wir da sehen und sagt danach “Ok, jetzt sind wir wieder in der Prüfung” und dann ist Daniel wieder an der Reihe. Das haben wir so gar nicht erwartet. Normalerweise muss der Prüfling alle Fragen der Gäste, die er nicht beantworten kann, sammeln und nach dem Drive recherchieren und dann seine Ergebnisse präsentieren. Dass ein Prüfer zwischendurch übernimmt und Dinge erklärt, haben wir noch nie gehört. Scheint wohl eine Eigenart von G zu sein.
Noch am selben Tag erhält Daniel sein Ergebnis und hat als Erster von uns die Prüfung bestanden.
Nach Daniels Drive hostet Nici das Frühstück, denn sie wird heute Nachmittag ihre Prüfung ablegen. Diesmal sitzt Ian mit uns am Tisch. Anders als G, hat Ian die ganze Zeit sein Handy in der Hand und macht sich Notizen, was Nici ein bisschen zu verunsichern scheint, aber auch sie macht ihren Guest Check souverän.
Danach bin ich an der Reihe. Da ich meine Prüfung am nächsten Morgen ablegen werde, muss ich nach Nicis Frühstück das Mittagessen hosten. Zum Glück haben wir davor etwas Freizeit, sodass ich in Ruhe den Tisch am Wasserloch decken und etwas dekorieren kann. Allerdings gibt mir das auch viel Zeit um mich verrückt zu machen. Ich habe meine Gäste gebeten, sich zehn Minuten vor dem Mittagessen an unserem Tisch einzufinden, damit ich erst meinen Guest Check machen und danach gemeinsam mit meinen Gästen essen kann. Ich hoffe außerdem, dass die Elefanten zum Wasserloch kommen, dann könnte ich etwas über sie erzählen, noch bevor mein Drive überhaupt beginnt.
Pünktlich erscheinen meine Gäste: Neben den üblichen Verdächtigen, Nici, Jenny und Daniel, habe ich noch Susanne und unseren Media-Praktikanten Luca auf meinen Drive eingeladen. Nur die Elefanten wollen meiner Einladung nicht so recht nachkommen und lassen sich leider nicht am Wasserloch blicken. Als alle Platz genommen haben, atme ich einmal tief durch, stelle mich meinen Gästen als ihr Guide vor und erkläre unser Programm für den nächsten Morgen. Ich versuche, Ian so gut es geht zu ignorieren, der nach gefühlt jedem meiner Sätze eine Notiz in sein Handy tippt und konzentriere mich stattdessen auf meine Mitschüler, die unterstützend lächeln und nicken. Reihum frage ich die Interessen meiner Gäste ab und meine Mitschüler wollen rein zufällig mehr über genau die Dinge lernen, ich denen ich gut bin: Große Säugetiere (aka Elefanten), Bäume, (Greif)Vögel und generelles Verhalten der Tiere. Schließlich komme ich zu Ian, der noch immer auf seinem Handy rum tippt. “Und was kann ich für dich morgen früh finden?”, frage ich lächelnd. “Ich habe gehört”, antwortet Ian und hebt nun endlich den Kopf um mir in die Augen zu schauen, “dass an der östlichen Grenze des Reservats Spuren von Wild Dogs gefunden wurden. Ich würde gerne Wild Dogs sehen”. “Okay”, sage ich und versuche, möglichst entspannt zu klingen.
In meinem Kopf ist das aber alles andere als okay! Das Ziel ist natürlich, die Interessen all meiner Gäste während meines Drives zu bedienen. Das ist zwar nicht immer einfach, aber gerade den Wunsch meines Prüfers möchte ich natürlich erfüllen. Da gibt es allerdings ein paar Probleme: Erstens haben wir die Wild Dogs seit unserem ersten und letzten Sighting mit Jon-Jon nicht mehr gesehen und das ist inzwischen Wochen her. Zweitens heißen Spuren noch lange nicht, dass die Wild Dogs morgen noch in der Nähe sein werden. Und drittens wurde uns von Beginn des Kurses an eingebläut, dass wir auf einem morgendlichen Drive nicht nach Osten fahren sollten, weil man dann der aufgehenden Sonne entgegen fährt und sowohl Guide als auch Gäste permanent geblendet werden. Wir haben für gute Sightings schon so manchen Drive Richtung Osten gemacht und das kann tatsächlich sehr unangenehm werden. Wieso wünscht Ian sich also sowas? Für Nicis Drive hat er sich Spuren gewünscht. Irgendwelche Spuren! Und von mir erwartet er Wild Dogs? Er muss doch wissen, wie gering die Chancen sind, sie zu finden! Will er mich testen? Will er sehen, ob ich trotzdem nach Osten fahre oder eine andere Lösung finde? Ich finde das ziemlich unfair und werde plötzlich wütend auf Ian.
Ich versuche, mir meine Gedanken nicht anmerken zu lassen und lächle. “Wild Dogs mag ich auch sehr gerne”, sage ich, “Leider sind sie sehr schwer zu finden und bewegen sich äußerst schnell. Aber ich werde sehen, was ich tun kann”. Dabei schleicht sich ein Lächeln auf Ians Lippen, von dem ich nicht weiß, wie ich es interpretieren soll. Bedrohlich? Zufrieden? Selbstgefällig? Erwartungsvoll? Ich habe keine Ahnung. Ich zwinge mich erstmal nicht weiter darüber nachzudenken und beende meinen Guest Check.
Danach bedienen wir uns am Buffet und setzen uns mit vollen Tellern wieder an den Tisch. Und zum dritten Mal in Folge fängt der lästige Small Talk an. Allerdings geben wir uns inzwischen weniger Mühe so zu tun, als würden wir uns nicht kennen oder wären noch nie in Afrika gewesen, sondern plaudern etwas mehr über echte Dinge. Trotzdem bin ich froh, als alle Teller leer sind und mein Guest Check beendet ist.
Als wir abräumen, frage ich die Anderen, ob ich irgendwas vergessen habe. “Nein, das war super”, versichern sie mir. “Okay, gut”, sage ich, “aber Wild Dogs? Wild Dogs!? Wie soll ich das bitte anstellen?”. Darauf wissen meine Freunde auch keine Antwort.
Zum Glück habe ich nicht viel Zeit, weiter darüber nachzudenken, da nach dem Mittagessen Nicis Prüfung ansteht. Jeder Schüler kann einen seiner Gäste als Navigator mitnehmen, damit wir nicht beim Fahren ständig auf die Karte schauen müssen oder uns am Ende sogar verfahren. Natürlich sind Nici und ich Navigatorin für die jeweils Andere. Ich sitze also auf dem Beifahrersitz und nachdem Nici ihr Safety-Briefing abgeliefert hat, sage ich ihr, wann sie abbiegen muss, um auf der Route zu bleiben, die wir vorab besprochen haben. Sie macht Ihre Sache wie gewohnt super und bringt ihren Gästen verschiedenste Bäume, Tiere, Spuren und die Geologie der Gegend näher. Das Einzige, was auf ihrem Drive daneben läuft, ist, dass der Sundowner-Spot, den sie ausgewählt hat, schon durch eine andere Gruppe Touristen besetzt ist. Also müssen wir kurzerhand umdisponieren, können aber noch einen anderen Spot finden.
Zurück im Camp sagt Ian nur kurz zu Nici, dass er ihr erst morgen Feedback geben wird, weil es nun zu spät ist, und verabschiedet sich dann.
Nici ist natürlich nicht gerade begeistert, dass sie bis morgen warten muss, kann aber nichts machen. Währenddessen erhält Mika, der zeitgleich mit Nici seinen Drive hatte, noch am selben Abend sein Ergebnis von G und hat ebenfalls bestanden.
Ich helfe Nici dabei, die Kühlbox von den Sundowners auszuräumen und wir quatschen ein bisschen über ihren Drive. Wie immer denkt Nici, sie hätte tausend Dinge falsch gemacht, was ich aber nicht bestätigen kann. Ich versichere ihr, dass der Drive richtig gut war und wir gehen zum Abendessen.
Ich habe mir den ganzen Tag Gedanken darüber gemacht, wie ich morgen auf meinem Drive etwas über Wild Dogs erzählen kann, ohne die Tiere selbst zu sehen. Ich habe entschieden, nicht nach Osten zu fahren, obwohl dort die Spuren gefunden wurden. Ich fahre die Route, die ich mir zuvor überlegt habe, nach Norden dann ein Stück nach Westen und zurück zum Camp. Es wäre natürlich seltsam, einfach so aus dem Nichts ein paar Fakten über Wild Dogs rauszuhauen, wenn wir weder die Tiere noch irgendwelche Anzeichen darauf finden. Am Abend liege ich also im Bett und lese in einem Buch nach dem anderen die Kapitel über Wild Dogs. Ich suche nach einer Verbindung mit irgendetwas, was wir höchstwahrscheinlich sehen werden. Schließlich werde ich fündig, als ich einen interessanten Zusammenhang zwischen Wild Dogs und Impalas finde. Impalas gibt es wie Sand am Meer, die werden wir bestimmt sehen und von dort kann ich zu den Wild Dogs überleiten. Einigermaßen beruhigt schlafe ich endlich ein. Aber leider soll auch diese Nacht nicht so erholsam werden wie ich es gehofft habe…