Am nächsten Morgen geht es früh weiter mit dem nächsten Teil der Prüfung. Die “Slides & Sounds” stehen an, wobei wir verschiedenste Bäume, Gräser, Blumen, Insekten, Reptilien, Amphibien, Vögel und Säugetiere anhand von Bildern identifizieren müssen. Außerdem müssen wir die Rufe der Vögel und, sofern vorhanden, der Säugetiere erkennen. Um diesen Teil der Prüfung habe ich mir von Anfang an viel weniger Sorgen gemacht und auch deutlich weniger hierfür gelernt. Die Vogelrufe haben wir ab der ersten Woche nach und nach gelernt und sie vielen mir nie sonderlich schwer. Ich mache mir auch keine Sorgen, dass ich auf einmal einen Löwen für einen Elefanten halte. Nur die Insekten und Reptilien brauchten etwas mehr Aufmerksamkeit, weil wir die meisten davon (zum Glück) noch nie in real life gesehen haben. Erst gestern Abend nach der Theorieprüfung haben Nici und ich uns ide Fotos der verschiedenen Eidechsen und Frösche angeschaut und ihre Namen gelernt. Das muss reichen.
Als wir zum Lecture Tent kommen, stürmt gerade Jolande heraus, grüßt uns kurz angebunden und rauscht an uns vorbei ins Büro. Nici und ich schauen uns fragend an. Wir betreten das Zelt, wo schon einige unserer Mitschüler und Jon-Jon warten. Auch er sieht ziemlich aufgebracht aus und schaut uns kaum an, als wir ihm einen guten Morgen wünschen, sondern fummelt weiter am Beamer herum. Es herrscht eine komische Stimmung und als die letzten Schüler sich setzen, eröffnet Jon-Jon uns den Grund für seine schlechte Laune. “Gestern Abend hat jemand den Laptop benutzt und sich die Prüfungen angesehen”. Ich schaue ihn ungläubig an, aber ich weiß, dass er es ernst meint. “So dumm muss man erstmal sein”, sagt er kopfschüttelnd, “Wir können doch sehen, wann die Datei zum letzten Mal geöfnet wurde! Jolande ist gerade dabei, die Reihenfolge zu ändern, es dauert also noch etwas, bis wir anfangen können”. Wie bitte!? Oh Mann, denke ich. Einer meiner Mitschüler fand es scheinbar zu viel verlangt innerhalb von zwei Monaten ein paar Fotos und dazugehörige Namen zu lernen und hat es vorgezogen sich die Antworten anzusehen. Jon-Jon verlässt das Lecture Tent und erstmal herrscht Stille. Ich bin mir sicher, dass jeder einen Verdacht hat, wer es war, aber niemand sagt etwas. Ich denke mir auch meinen Teil und bin mir sicher, dass es Mika war, der seine Zeit grundsätzlich lieber im Gym oder am Rauchertisch verbringt als zu lernen. Leider kann ich das nicht beweisen. Ich erfahre aber einige Wochen später von Louie, dass es tatsächlich Mika war. Natürlich.
Als Jolande die Reihenfolge der Bilder geändert hat, beginnen wir endlich mit der Prüfung. Wie erwartet, ist sie nicht schwierig. Cheaten ist hier wirklich nicht nötig, wenn man im Kurs vorher einigermaßen aufgepasst hat. Ich mache nur einen Fehler, indem ich bei den Säugetieren zwei recht ähnliche Antilopen vertausche. Da man ausgerechnet für diesen Teil 100% braucht, muss ich ihn später wiederholen, alle anderen Teile bestehe ich problemlos.
Unsere Gruppe ist nun seit acht Wochen non-stop zusammen. Abgesehen von ein paar Stunden Pause in Hoedspruit, die wir am Tag des Umzugs von Karongwe nach Pridelands hatten, waren wir die ganze Zeit auf engem Raum in einem Camp mit wenig Rückzugsmöglichkeiten. In anderen Worten, wir alle haben einen leichten bis starken Fall von Lagerkoller und gehen uns gegenseitig inzwischen ganz schön auf die Nerven! Wir können unsere erste Off-Time nicht erwarten und freuen uns darauf, den Rest der Gruppe (oder jedenfalls bestimmte Leute aus der Gruppe) zwei Wochen lang nicht zu sehen. An den Tagen, an denen wir morgens und abends raus fahren, ist es nicht so schlimm, dann vergeht die Zeit schneller und natürlich sind wir auf unser Umfeld und die Tiere konzentriert. Aufgrund der Prüfungen hatten wir aber ein paar Tage komplett frei und waren nur im Camp. Auch für den Nachmittag nach den Slides & Sounds ist kein Drive geplant, deswegen betteln wir unsere Instructors an, dass wir für ein paar Stunden in die Stadt fahren dürfen. Nach langer Diskussion und viel Überzeugungsarbeit stimmen Jon-Jon und Jolande zu, uns für zwei Stunden nach Hoedspruit zu lassen. Da unser Fahrer Dries zufällig gerade mit einem kleinen EcoTraining-Bus im Camp ist, kann er uns hin bringen.
Am Nachmittag sitzen Nici, Jenny, Daniel und ich also wieder im Fig&Bean Café in Hoedspruit und schlürfen Milkshakes. Wir haben eigentlich nichts in der Stadt zu erledigen, es tut einfach gut, mal wieder andere Menschen zu sehen als die im Camp. Nach den zwei Stunden reicht es mir allerdings auch schon wieder und ich bin ganz froh, als wir wieder nach Pridelands fahren.
Zurück im Camp treffe ich auf Luca, unseren Media Intern. “Sie ist immer noch da”, sagt er mit besorgtem Gesichtsausdruck, “sieht nicht gut aus”. Damit meint er die Hyäne, die zwei Nächte zuvor vor unseren Augen von ihren Artgenossen verwundet wurde. Nach dem Angriff hat sie sich in die Büsche geschleppt, die ein Stück hinter dem Küchenzelt außerhalb des Zauns stehen, und hat sich seitdem nicht mehr dort weg bewegt. Ich gehe mit Luca zum Zaun, von wo aus wir so gerade eben eine dunkle Silhouette im Schatten der Büsche erkennen können. Er reicht mir sein Fernglas. Ich sehe, wie sich die Bauchdecke der Hyäne flach und langsam hebt und senkt. “Sieht gar nicht gut aus”, stimme ich zu. Ehrlich gesagt sind wir überrascht, dass die Hyäne überhaupt noch lebt. Alle haben erwartet, dass die anderen Hyänen zurück kommen und ihr den Rest geben würden oder dass ein anderes Raubtier kommt und sie tötet. Ein verwundetes Tier ist leichte Beute, egal welche Spezies. Ein Teil von mir wünscht sich sogar, dass jemand oder etwas kommen und sie töten würde, weil sie sicher starke Schmerzen hat und sich nur noch manchmal bewegt, um sich wieder in den Schatten zu legen. In diesem Zustand will wohl niemand ein Tier sehen. Ich habe Jon-Jon bereits gefragt und er hat mir erklärt, dass der Warden des Reserves bereits informiert ist und aktuell entschieden wird, was mit der Hyäne passieren soll. Bis dahin können wir leider nichts machen und müssen hilflos zusehen, wie sie vor sich hin vegetiert. Das soll sich aber schon bald ändern.
In drei Tagen beginnen unsere praktischen Prüfungen. Und pünktlich dafür bekommen wir mal wieder neue Game Viewer. Sie sehen zwar ganz schick aus, sind aber leider keine Landys. Für den Rest des Kurses sind wir mit Toyota Landcruisern unterwegs. Ich stehe ihnen erstmal kritisch gegenüber, sie haben einfach nicht dasselbe Flair wie ein Landy. Nach nur einem Drive muss ich aber zugeben, dass sie sich ziemlich komfortabel fahren. Allerdings hat einer der beiden Cruiser einige Probleme. Erstens hat er keine Außenspiegel, keine Ahnung, wo die abgeblieben sind. Außerdem lässt sich die Fahrertür nicht öffnen, also muss der Guide sich zum Einsteigen mehr oder weniger elegant auf die Tür setzen und darüber schwingen. Und schließlich hat die Batterie einen Wackelkontakt, sodass der Wagen leider nicht mehr anspringt, wenn er einmal ausgeschaltet wird, es sei denn, man öffnet die Motorhaube und eine Person hält eins der Kabel fest, während der Fahrer den Motor startet. Zusammengefasst kann man sagen, dass dieser Wagen für eine Prüfung komplett unzumutbar ist. Als wir unsere Camp-Koordinatorin Nici darauf ansprechen, versichert sie uns, dass sie die zuständigen Leute bei EcoTraining schon mehrfach hierüber informiert hat, leider passiert aber nichts und die Hälfte von uns wird wohl mit diesem Gefährt ihre Prüfungs-Drives fahren müssen.
An diesem Nachmittag hat Jenny ihren letzten Übungs-Drive vor der Prüfung, zum Glück mit dem guten Cruiser. Wir machen uns gerade auf den Rückweg zum Camp, als Jon-Jon einen Anruf erhält. Er spricht kurz, dann bittet er Jenny anzuhalten und dreht sich zu uns um. “Die verletzte Hyäne, die sich beim Camp aufhält”, sagt er und wir nicken, “Der Tierarzt kommt gleich, um sie sich anzuschauen. Wenn ihr wollt, könnt ihr zusehen. Ich glaube, dass das eine gute Gelegenheit zum Lernen für euch ist, aber euch muss auch klar sein, dass man ihr vielleicht nicht helfen kann. Es ist gut möglich, dass das Tier per Injektion oder mit einem Schuss getötet werden muss. Wer das nicht sehen möchte, kann gerne im Camp bleiben”. Wir überlegen kurz, sind uns aber schnell einig, dass wir uns so eine Gelegenheit nicht entgehen lassen können.
Jon-Jon tauscht mit Jenny die Plätze und gibt Gas. Wir fahren direkt ums Camp herum, zum Wasserloch, von wo aus man die Hyäne am besten sehen kann. Als wir ankommen, bin ich überrascht, so viele Leute dort zu sehen. Dort stehen fünf oder sechs Autos und ihre Insassen daneben. Jon-Jon positioniert den Wagen so, dass wir die Hyäne von hier aus sehen können, aussteigen dürfen wir leider erstmal nicht. Mir fällt auf, dass die Hyäne in der prallen Sonne liegt. Das ist ungewöhnlich, in den letzten Tagen hat sie sich immerhin noch mit letzter Kraft dem Schatten der Büsche hinterher geschleppt. Kurz frage ich mich, ob sie vielleicht schon tot ist.
Nachdem sich die Leute kurz besprochen haben, kommt eine junge Frau in einem “Rhino Revolution”-T-Shirt auf uns zu, in der Hand hält sie ein Blasrohr, in dem offenbar ein Betäubungspfeil steckt. Sie stellt sich als diie Tierärztin vor und erklärt uns, dass sie nun erstmal allein auf die Hyäne zu gehen und überprüfen wird, ob sie noch lebt und wie ihr Zustand ist. Danach wird eine Entscheidung gefällt, was weiter passieren soll.
Gespannt schauen wir zu, wie die Tierärztin sich der Hyäne nähert. Das Tier zeigt keinerlei Reaktion. Langsam tastet sie sich immer näher heran, bis sie schließlich nur noch wenige Schritte von der Hyäne entfernt steht. Sie wartet kurz ab, dann stubst sie das Tier mit dem Ende des Blasrohrs an. Die Hyäne bleibt regungslos liegen. Die Tierärztin schaut in unsere Richtung und schüttelt den Kopf. Natürlich wissen wir, was das heißt. Die Hyäne ist bereits tot. Heute Morgen haben wir noch nach ihr gesehen und gesehen, wie sie geatmet hat. Aber innerhalb der letzten Stunden muss sie ihren Verletzungen erlegen sein.
Ich habe einen Kloß im Hals. Ich weiß, es klingt bescheuert, aber ich habe eine seltsame Verbindung zu der Hyäne aufgebaut. Immerhin waren wir in jener Nacht Zeugen, als sie verwundet wurde und haben seitdem mehrmals am Tag nach ihr gesehen und ein ganz kleiner, naiver Teil von mir hat wohl noch immer gehofft, dass sie es schaffen würde.
Als die Tierärztin zurück kommt, bespricht sie sich kurz mit dem Warden des Reservats, dann kommt sie erneut auf uns zu und sagt uns, was wir schon wissen: “Die Hyäne ist bereits gestorben”. Wir nicken. “Wollt ihr näher ran und sie euch anschauen?”. Da können wir natürlich nicht nein sagen. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, eine Hyäne aus nächster Nähe in Ruhe zu betrachten? Wir klettern vom Wagen und gehen auf die tote Hyäne zu. Aus der Nähe sehen wir nun, wie übel die anderen Hyänen sie zugerichtet haben. Sie liegt auf ihrer rechten Seite, sodass die tiefe Wunde an ihrer linken Schulter sichtbar ist, die wir schon in jener Nacht erkennen konnten. Außerdem sehen wir nun, dass ihr linkes Hinterbein in einem ungesunden Winkel absteht, es scheint gebrochen zu sein. Deswegen konnte sie sich wohl nicht mehr aufraffen. Nachdem wir unsereTheorien aufgestellt haben, was wohl passiert sein könnte, nehme ich die Hyäne genauer unter die Lupe. Nicht ihre Wunden, sondern alles andere. Ich sehe mir ihre Tatzen an, von denen wir fast täglich irgendwo Spuren finden. Hyänen haben einen der stärksten Bisse im ganzen Tierreich und nun habe ich mal die Möglichkeit, dieses starke Gebiss genauer zu betrachten. Wir dürfen die Tierärztin währenddessen mit all unseren Fragen löchern und sie nimmt sich Zeit, uns alles zu erklären.
Als wir sie schließlich fragen, was nun mit dem Kadaver passieren wird, sagt sie: “Naja, wenn ein Tier eingeschläfert oder erschossen werden muss, wird der Kadaver normalerweise entweder entsorgt oder an eine andere Stelle im Reservat gelegt, wo Touristen ihn nicht sehen können. Da diese Hyäne aber schlussendlich an ihren Verletzungen gestorben ist, lassen wir sie wohl hier liegen”.
Oha, denke ich. Das mag zwar einerseits interessant werden, da bestimmt andere Raubtiere und Vögel kommen und sich an dem Aas bedienen werden. Andererseits liegt der Kadaver hier in der Sonne bei über 30°C und das nur wenige Meter neben unserem Camp. Mir wird schon schlecht, wenn ich nur an den Geruch denke, der uns in den nächsten Tagen erwarten dürfte.
Noch am selben Nachmittag bringt Luca seine Trail Cam an einem nahegelegenen Baum an. Sie hat einen eingebauten Bewegungsmelder und beginnt zu filmen, wenn sich ein Tier nähert. So will er dokumentieren, wer sich an dem Kadaver bedient.
Am nächsten Morgen wollen wir nach der toten Hyäne sehen, finden sie aber gar nicht an der gewohnten Stelle. Der Kadaver liegt einige Meter weiter, sodass er vom Camp aus nun fast nicht mehr zu sehen ist. Irgendetwas hat ihn letzte Nacht bewegt. Das Seltsame daran ist aber, dass der Kadaver immer noch unversehrt aussieht. Kein Tier scheint daran gefressen zu haben. Die einzigen Spuren, die wir drum herum finden können, sind die von Elefanten, die ja jeden Tag hier am Wasserloch sind. Und als Luca die Aufnahmen seiner Kamera sichten will, muss er leider feststellen, dass diese einen Fehler hatte und nichts aufgenommen hat. Das Schicksal dieser Hyäne wirft immer mehr Fragen auf.
Wir sprechen mit unserem Tracker Morris darüber und er sagt, dass es höchstwahrscheinlich wirklich ein Elefant war, der den Kadaver bewegt hat. Er erklärt uns, dass es viele dokumentierte Fälle gibt, in denen das passiert ist. Ein Elefant findet ein totes Tier im Busch, greift es mit seinem Rüssel und schleift es ein Stück mit sich. Da Elefanten natürlich kein Interesse daran haben, andere Tiere zu fressen, lassen sie den Kadaver dann einfach irgendwo anders liegen. Warum sie das tun, weiß allerdings niemand. Es ist nur eines von vielen Mysterien rund um Elefanten und einer von unzähligen Gründen, warum sie so interessant sind.