Die Zeit vergeht wie im Flug. Die meisten Bäume, von denen wir vor Kurzem noch gekostet haben, tragen inzwischen keine Früchte mehr, die Marulas, die den Boden im Camp bedecken, werden immer brauner und bei den Antilopen beginnt langsam aber sicher die Brunftzeit. Es ist faszinierend, das veränderte Verhalten der Nyalas im Camp zu beobachten. Vor allem zwei der großen Bullen präsentieren uns fast täglich ein unterhaltsames Spektakel, bei dem sie in Zeitlupe aneinander vorbei schleichen und sich dabei gegenseitig messen. Entweder bleibt es dann dabei oder sie gehen mit vollem Tempo aufeinander los.
Ehe wir uns versehen, stehen unsere letzten Tage in Karongwe an. Der nächste Consolidation Day kommt und geht und auch die letzten Field Obs in Karongwe bringen wir erfolgreich hinter uns. Ich habe sogar volle Punktzahl. Kann ich selbstbewusst behaupten, dass ich wirklich alle Antworten sicher wusste? Nein. Habe ich hier und da gut geraten? Definitiv. War Craig so nett und hat ab und zu ein paar Hints auf die richtige Antwort gegeben? Vielleicht…
In zwei Tagen ziehen wir nach Pridelands um, in ein neues Camp in einem neuen Reserve mit neuen Instructors. Alle sind aufgeregt und freuen sich auf die Veränderung. Pridelands ist vor allem für eins bekannt: Elefanten! Versteh mich nicht falsch, Karongwe ist wunderschön und das Camp ist wahrscheinlich das “Luxoriöseste”, das wir während unseres Kurses bewohnen werden, von hier an werden unsere Wohnverhältnisse noch einfacher werden. Aber all unsere bisherigen Instructors haben tolle Dinge von Pridelands erzählt. Oft sind Sätze gefallen wie “Ihr werdet so viele Elefanten und Löwen sehen, dass sie euch irgendwann zum Hals raus hängen”. Davon wollen wir uns nur zu gerne selbst überzeugen.
Den Tag vor unserem Umzug verbringen wir vor allem damit, das Camp aufzuräumen und unsere Koffer zu packen. Mir graut es davor, all meine Klamotten, Ausrüstung und Bücher wieder in meine Reisetaschen zu stopfen. Es war auf dem Hinweg schon mehr als schwierig, alles unterzubringen und nun sind noch drei Sets Uniform und ein ganzer Stapel Bücher und Hefte dazu gekommen. Bei 40°C und im stickigen Zelt macht das Packen herzlich wenig Spaß und es dauert eine Weile, aber mit vereinten Kräften schaffen Nici und ich es, fast alles in unseren Taschen zu verstauen und die Reißverschlüsse zu schließen. Ein paar Sachen haben allerdings beim besten Willen nicht mehr rein gepasst, die binde ich kurzerhand von außen an mein Backpack. Das ist dann wohl ein Problem für den Rückflug irgendwann…
Da wir erst am Abend wieder Programm haben, hängen wir am Nachmittag ein paar Stunden lang rum und wissen nicht recht, was wir mit uns anfangen sollen. Wir sind einfach keine Langeweile mehr gewohnt. Unsere Bücher sind bereits verstaut und niemand hat Lust, sie wieder hervor zu kramen, deswegen ist Lernen keine Option. Außerdem können wir uns auch mal einen Tag Pause gönnen, wir haben die letzten Wochen wirklich hart gearbeitet.
Jenny, Daniel, Nici und ich vertreiben uns die Zeit mit ein paar Kartenspielen, danach schnappen wir uns ein paar Stühle und setzen uns in den Schatten der Marulabäume am Rand des Flussbetts. Die Marulasaison ist inzwischen so gut wie vorbei und um uns herum liegen tausende braune und matschige Früchte, die den gierigen Elefanten und Nyalas entkommen sind.
Natürlich fahren wir am Abend zu einem Abschieds-Sundowner raus. Bevor es los geht, frage ich André: “Fahrt ihr oder fahren wir?”. Er lächelt, denn er weiß genau worauf ich hinaus will. “Willst du fahren?”, fragt er zurück. “Klar”, strahle ich, “ich dreh gerne noch eine letzte Runde mit den Ladies.” Unsere beiden Land Rover sind mir sehr ans Herz gewachsen, vor allem die alte, klapprige Suzie Q, die zwar noch fährt, an der aber weder Tankanzeige noch Tacho noch sonst viel anderes funktioniert. André hat mir neulich erzählt, dass die Wagen so bald wie möglich gegen Toyota Landcruiser ausgetauscht werden sollen. Die mögen vielleicht objektiv besser sein, aber gegen den Charme eines Defenders kommen die einfach nicht an. Nici und ich haben schon Pläne geschmiedet, die Landys in einer Nacht- und Nebenalktion einfach zu klauen. Ob die Game Viewer für den Straßenverkehr gut geeignet sind, bezweifle ich allerdings.
Ich schwinge mich auf den Fahrersitz und die Hälfte meiner Mitschüler steigt hinter mir ein, Craig fährt den anderen Wagen. “Drück drauf, Allie!”, rufen meine Mitschüler, “Wir wollen hier hinten in die Luft fliegen!”. Das wird allerdings nichts, denn wir folgen dem anderen Landy. Wir fahren die Strecke, die wir in den letzten Tagen schon ein paar Mal gefahren sind, zu der offenen Ebene, die wir inzwischen inoffiziell “Hyena Plains” getauft haben. Wir rechnen allerdings nicht damit, dass wir die Hyänen dort sehen, sondern fahren nur für einen schönen Sundowner dort hin. Jenny durfte den Spot für den letzten Sundowner aussuchen, weil sie und Daniel heute ihren ersten Hochzeitstag haben.
An den Hyena Plains angekommen, fallen wir über die Kühlboxen her. Die Stimmung ist ausgelassen und wir haben einen lustigen Abend, begleitet von einem wunderschönen letzten Sonnenuntergang in Karongwe. Als es Zeit fürs Abendessen ist, machen wir uns auf den Rückweg. Ich genieße meine letzte Fahrt am Steuer von Suzie Q. Ich bringe die holprigen kleinen Straßen hinter uns und biege auf East-West-Main, die “Hauptstraße”, die einmal quer durchs Reserve führt. Sie ist im Vergleich zu den Nebenstraßen in relativ gutem Zustand, aber auch hier ist alle hundert Meter ein sogenannter “Bolster” eingebaut, ein Huckel in der Fahrbahn, der bei starkem Regen das Wasser ableitet, damit der Sand nicht abgetragen wird.
Ich halte den Wagen an und drehe mich zu André. “Darf ich hier ein bisschen schneller fahren?”, frage ich. Er schaut mich an. “Was meinst du mit schneller?”. Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel. “Naja”, sage ich, “schneller als bisher”. André kann sein Lächeln nun auch nicht mehr verbergen und ich kann seinem Blick entnehmen, dass er weiß, was ich vorhabe. “Okay”, sagt er schließlich.
Ich grinse und lege den Schalthebel von Low Range in High Range um. Dann gebe ich Gas. Der alte Landy brummt laut auf und zieht dann ordentlich an. Immer schneller sausen wir auf den nächsten Bolster zu. Ich höre überraschte Schreie und Gelächter von den hinteren Reihen, als ich mit ordentlichem Tempo über den ersten Huckel fahre. Auch André höre ich neben mir lachen. Immer weiter fahre ich den Landy im Schnelltempo durch die Dunkelheit, bei jedem Bolster kann ich förmlich spüren wie Anka, Sophia und Nici in der hintersten Reihe kurz in die Luft geworfen werden und dann wieder auf dem Sitz landen. Ihr Gegeier dabei ist ansteckend und wir fahren laut lachend durch das dunkle Reserve. An der Abzweigung zum Camp werde ich kurz langsamer und nehme den Handsender vom Radio in die Hand. An dieser Abzweigung melden wir immer den Mammas im Camp unsere ETA (estimated time of arrival) und sagen ihnen, dass wir in fünf Minuten im Camp sind. Der Kanal, den wir dabei benutzen, ist nur für EcoTraining, keine anderen Guides hören unsere Funksprüche. Ich drücke den Knopf und sage: “EcoTraining base, this is Allie. ETA…” ich schaue kurz zu André, der zuckt nur mit den Schultern. “…two to five minutes.”, beende ich meinen Funkspruch und André lacht herzlich. Dann drücke ich wieder aufs Gas und lenke den Defender über durch die letzten Kurven bergab zum Camp, begleitet vom adrenalingeladenen Gelächter meiner Mitfahrer. Im Camp angekommen, klettern alle vom Wagen, ich selbst habe ganz wacklige Knie, als ich vom Fahrersitz steige. Meine Mitfahrer gehen zum Lecture Room, wo die andere Gruppe bereits wartet. “Danke, dass ich das machen durfte”, sage ich zu André. Ich kann mir denken, dass es nicht selbstverständlich ist, Schüler so fahren zu lassen. “Gerne”, sagt er lachend, “Es ist wichtig, auch einfach mal Spaß zu haben”.