Heute ist unsere Gruppe endlich komplett. Als wir am Donnerstag Morgen unser Gepäck zur Rezeption hieven, warten dort neben zwei EcoTraining Bussen auch unsere letzten MitschülerInnen: Fred aus Belgien, Susanne aus Deutschland, Lucas aus den Niederlanden, Nicoline und James aus Südafrika und Louie aus England.
Louie hatte leider einen besonders schlechten Start in seine Reise, erst wollte die Airline ihn nämlich ohne Rückflugticket nicht fliegen lassen, sodass er prompt am Flughafen einen viel zu teuren Rückflug buchen musste, und dann haben sie auch noch sein Gepäck verbummelt und scheinbar auch nicht wirklich ein Ahnung, wo es sein könnte oder ob und wann es wieder auftaucht. So steht er nun mit kaum mehr als seinem Handgepäck, einem Paar Schuhe und ein paar Klamotten, die er sich schnell neu gekauft hat, vor uns. Es ist erstaunlich, wie locker er das Ganze nimmt, seine gute Laune scheint das nicht zu trüben.

Wir verteilen uns auf die zwei Busse und starten die ca. dreistündige Fahrt nach Nelspruit. Unterwegs quatschen wir und lernen uns weiter kennen, bis es langsam still im Bus wird. Unser Fahrer Dries hat uns vor der Abfahrt eine kleine Aufgabe gegeben: Wir alle sollen uns überlegen, warum wir diesen Kurs machen. In Nelspruit werden wir unter anderem Wilhelm, den Operation Manager von EcoTraining, kennenlernen und der werde uns genau diese Frage stellen. Ich weiß natürlich nicht, ob alle anderen auch darüber nachdenken oder ob der gestrige lange Abend ihnen noch in den Knochen steckt. Ich für meinen Teil versuche jedenfalls, mir im Kopf ein paar Stichpunkte zu überlegen.

In Nelspruit steht dann vor allen erstmal Orga-Kram auf dem Plan. Wir werden von mehreren staff members von EcoTraining begrüßt und als wir uns auf der Terrasse versammeln, liegt dort für jeden von uns eine EcoTraining Kappe, ein Beutel mit Lehrbüchern, unseren Workbooks und Logbooks und einem Beanie für den Winter bereit. Das hatte ich definitiv unterschätzt und bin auf einmal alles andere als zuversichtlich, dass ich mit meinem Gepäck auf dem nächsten Flug hin komme, trotzdem freuen wir uns über unsere “Geschenke”. Deutlich weniger freuen wir uns über den dicken Stapel Papier, der daneben auf jeden von uns uns wartet.
Die nächste Stunde verbringen wir damit, alle möglichen Formulare auszufüllen. Da sind die Registrierungen bei FGASA (Field Guides Association of South Africa) und CATTHESA (The Culture, Arts, Tourism, Hospitality and Sport Sector Education and Training Authority – was für ein Name!), mehrere Dokumente für das Praktikum, das die zweite Hälfte des Kurses bildet, die AGB von EcoTraining, die zum ich weiß nicht wievielten Mal bestätiget werden wollen… und und und. Noch nie habe ich so oft meine Unterschrift gesetzt wie heute.

Parallel zum Papierkrieg läuft drinnen das “Fitting”, nacheinander dürfen wir ein paar Beispielstücke der EcoTraining-Uniform anprobieren, damit niemand monatelang eine falsche Größe tragen muss. Wir mussten unsere Größen schon vor Wochen angeben, aber wie sich herausstellt, ist das Fitting trotzdem notwendig, ich brauche nämlich am Ende alles eine Größe kleiner als ich vorab bestellt habe.
Die Uniformen an sich sehen nicht sonderlich aufregend aus, wir bekommen ein Polo-Shirt, drei Blusen und drei Hosen, alles in buschneutralem Khaki-Grau.
Als ich mich in der Uniform im Spiegel sehe, ist das ein komisches Gefühl. Ein Teil von mir denkt ganz kurz, ich sehe aus wie einer von diesen übermotivierten Touristen, die man auf jeder Safari dabei hat, und dass ich ziemlich albern aussehe. Aber dem anderen Teil von mir gefalle ich in dem Outfit. Ich habe ja nun auch lange genug darauf gewartet, es tragen zu dürfen.

Als der Papierkram endlich geschafft ist, gibt es Lunch, und da wir danach etwas Freizeit haben, gehen ein paar von uns sich in einem kleinen Nature Reserve, das nur ein Stück die Straße runter liegt, die Beine vertreten und lassen zurück an unserer Unterkunft die Füße im kühlen Pool baumeln.

Vor dem Abendessen kommt dann wie angekündigt Wilhelm, der Operation Manager, ein mittelalter Typ in voller EcoTraining Aufmachung und mit der so typisch südafrikanischen offenen, sympathischen Art. Er erzählt erstmal viel über die Entstehung des Unternehmens, was wir dieses Jahr so erleben werden, erklärt ein paar Regeln und will uns dann alle persönlich kennenlernen. Wir stellen uns reihum vor uns erzählen, was wir vorher so gemacht haben und da gibt es große Unterschiede: Ein paar von uns kommen gerade aus der Schule und haben noch nie in einem anderen Job gearbeitet, andere hatten schon so viele Jobs, dass sie nicht alle aufzählen können. Nicoline, Louie und Lucas sind mit gerade mal 20 Jahren die Jüngsten der Gruppe, die meisten von uns sind Mitte zwanzig bis Mitte dreißig und ein paar in den Vierzigern. Susanne ist mit 67 Jahren die älteste Kursteilnehmerin. Sie war Ingenieurin und hat zuletzt an Engines für Rolls Royce mitgebaut. Nach zwei Jahren Ruhestand hat sie nun entschieden, dass sie nicht den Rest ihres Lebens rumsitzen will und hat diesen Kurs gebucht. Ich bewundere sie sehr dafür.
Als Begründungen werden am häufigsten genannt “Ich liebe Tiere und will mehr über sie und den Busch lernen” und “Ich will auf keinen Fall mein Leben lang an einem Schreibtisch sitzen”.
Ich bin allerdings auch überrascht, dass ein paar der Teilnehmer zum allerersten Mal überhaupt in Südafrika oder generell in Afrika sind und auch noch nie auf Safari waren.

Als ich dran bin und sage, dass ich ausgebildete Tourismuskauffrau bin, findet Wilhelm das super und unterstreicht, dass es ja extrem wichtig ist, Touristen nach Afrika zu bekommen. Darüber finanzieren sich die Game Reserves und nur so können die Tiere langfristig geschützt werden. Deswegen war die Corona-Pandemie für die Game Reserves in Afrika – und sicher auf der ganzen Welt – besonders hart. Keine Touristen = keine Einnahmen = keine Funds um die Reserves in Stand zu halten, Mitarbeiter zu bezahlen, die Tiere zu versorgen und die Tiere durch Anti-Poaching Units zu beschützen. Die Wilderei hat während der Pandemie in vielen Reserves stark zugenommen, weil sie keine Anti-Wilderer Einheiten einsetzen konnten. Für all das brauchen die Reserves Geld und das kommt aus dem Tourismus. Wilhelm spricht also genau das aus, was mir auch im Kopf rumging; Falls ich kein Guide werde, kann ich mit einer Tätigkeit im Tourismus wenigstens daran mitwirken, dass viele Menschen nach Afrika reisen und so einen Beitrag zur conservation der Reserves leisten.

Nach dem sehr interessanten Meeting mit Wilhelm zaubert unser Gastgeber Dave, auch genannt Crazy Dave, einen leckeren südafrikanischen braai (so nennt man hier Barbeque) für uns und alle schlagen dankbar zu.
Während wir auf der überdachten Terrasse essen, fängt es an zu regnen. Eine ziemliche Erleichterung, denn es sind wieder 28 Grad. Wir sitzen noch eine Weile bei ein paar Drinks zusammen und quatschen, bevor wir uns nach und nach ins Bett verabschieden. Wir alle freuen uns so sehr darauf, in den richtigen Busch aufzubrechen, dass wir den morgigen Tag nicht erwarten können.

Endlich, endlich, ENDLICH fahren wir dann am nächsten Tag in unser erstes Camp. Als wir am Morgen die Busse wieder beladen, liegt mindestens genauso viel Aufregung in der Luft wie gestern.
In Nelspruit halten wir noch am EcoTraining Main Office und erhalten dort unsere Uniformen, machen für letzte Besorgungen einen Stopp bei einer Mall und bringen dann die ca. 3,5-stündige Fahrt in einem Rutsch hinter uns. Die zuerst immer gleiche, flache Landschaft, die am Fenster an mir vorbei zieht, macht mich müde und ich döse ein. Als ich aufwache, hat sich die Welt um mich herum komplett verändert. Um uns herum ragen Berge in die Höhe, alles ist saftig grün und unser Fahrer Dries navigiert den Bus mit Gepäckanhänger im zügigen Tempo über die kurvigen Straßen.
Wir fahren ein ganzes Stück entlang der Panorama Route, einer wunderschönen Strecke, die Richtung Kruger führt. Dabei überqueren wir den Blyde River, der den drittgrößten Canyon der Welt, den Blyde River Canyon bildet. Nur der Grand Canyon in den USA und der Fish River Canyon in Namibia sind größer. Einen Fotostopp machen wir allerdings nicht, wir alle haben es eilig, in den Busch zu kommen.

Es ist erschreckend, wie bekannt mir die Landschaft vorkommt, obwohl ich erst einmal hier war und das ist immerhin acht Jahre her. Als Susanne mich fragt, welchen Fluss wir durch das Fenster sehen, kann ich ihr intuitiv sagen, dass es der Olifants River ist und als wir kurze Zeit später einen Wasserfall passieren, der ein beliebtes Fotomotiv ist, erinnere ich mich genau daran, wie ich damals genau hier stand.

Als wir etwas später das Gate zum Karongwe Game Reserve erreichen, wartet dort ein junger Mann in EcoTraining Uniform neben einem offenen Landrover Game Viewer. Der andere Bus fährt nicht bis zum Canp weiter und wir schauen etwas neidisch zu, wie unsere Mitschüler vom Bus in den Game Viewer umsteigen und die restliche Strecke zum Camp fahren. Die Fahrt dauert nur wenige Minuten. Zum Glück, denn Karongwes Straßen sind äußert holprig, es geht auf und ab und wir werden in unserem kleinen Bus ordentlich durchgeschüttelt.

Im Camp angekommen, begrüßt unsere Camp-Koordinatorin Vinolia und der junge Mann, der uns abgeholt hat, stellt sich als Nathan vor. Er wird zusammen mit einem anderen Guide, der in ein paar Tagen kommt, unser Instructor während unserer Zeit in Karongwe sein.
Wir brauchen eine Weile, um all unser Gepäck in unsere Zelte zu wuchten, kein großer Spaß bei über 30 Grad und auf sandigem Boden.
Als alles verstaut ist, sammeln wir uns im Lecture Room und erhalten von Nathan eine kleine Einweisung mit anschließender Führung durch unser neues vorübergehendes Zuhause. Das Karongwe Camp ist wunderschön! Es hat ein paar kleine Gebäude, die den Lecture Room, das Office, das “Computer Lab” (was fancy kling, aber nur ein Raum ist, in dem wir unsere Elektronik laden können und ein paar Tierschädel, Knochen und andere Dinge ausliegen, die etwas an ein Museum erinnern), und die Küche untergebracht sind sowie ein Waschhaus am anderen Ende des Camps. Außerdem haben wir ein self-made Gym mit ein paar Eisenstangen mit Betonklötzen an den Enden und ein paar “Reckstangen”.
Unsere Zelte stehen im Schatten der Bäume entlang des Flusses. Naja, aktuell ist es nur ein trockenes Flussbett, aber das kann sich auch ganz schnell ändern. Damit hat das Camp schon Erfahrung, es wurde in den letzten Jahren mehrfach komplett überflutet, zuletzt erst vor wenigen Wochen.
Direkt am Flussbett ist auch unser “Boma”, hier stehen ein paar Tische für die Mahlzeiten. Hier sitzen wir im Schatten eines wunderschönen, großen Jackelberry-Baums und genießen es einfach, hier zu sein. Da wir für den Rest des Tagen kein Programm mehr haben, dauert es nicht lange, bis Mika eine Idee kommt: Alle Jungs sollen sich die Haare abrasieren. Keine Ahnung, wie er darauf kam, aber angesichts der Hitze stimmen die meisten tatsächlich zu und wenige Minuten später summt der Rasierer. Wir haben ziemlich viel Spaß daran, auch wenn es nach kurzer Zeit eher nach Army-Bootcamp aussieht als nach Safariguides. Da ich es vor meiner Abreise nicht mehr zum Frisör geschafft habe, lasse ich mich von Mika überreden, dass er auch mir die Haare (allerdings mit einer Schere) schneiden darf. Die Schere stellte sich dann eher als stumpfe Bastelschere heraus, aber das Ergebnis ist angesichts der Umstände nicht mal schlecht geworden.

Unten am Fluss befindet sich außerdem einer der wohl wichtigsten Orte des ganzen Camps: Die Feuerstelle.
Gleich am ersten Abend sitzen wir mit einem kühlen Bier oder Savanna (südafrikanischer Cider) um das Feuer herum und lassen den Abend ausklingen. Wir genießen es, dass wir morgen erst um 8 Uhr mit unserem Erste-Hilfe-Kurs starten und darum lange schlafen können. Jedenfalls lange im Vergleich zu den nächsten Monaten…

Als wir uns dann irgendwann vom Feuer loseisen können, ist der Weg zu unserem Zelt in absoluter Dunkelheit ganz schön aufregend. Wir alle sagen zwar, wie toll es doch wäre, wenn wir einen Elefanten oder Löwen oder sonst irgendwelche großen Tiere auf dem Weg treffen würden, aber insgeheim sind wir doch alle froh, dass das nicht passiert. Wir haben natürlich Nathan vorab gefragt, wie wir damit umgehen würden und sein Rat war “Wenn du in der Nacht ein Hippo triffst, leuchte ihm mit deiner Taschenlampe direkt in die Augen und zieh dich langsam rückwärts zurück. Das sollte es davon abhalten, dich anzugreifen. Falls nicht, hast du ein Problem”. Cool.

Nicoline und ich bleiben an dem Abend so lange wach wie wir können, weil wir so gerne ein paar Tierrufe draußen hören würden. Wir hoffen, dass wir die Hyänen lachen oder einen Löwen in der Ferne brüllen hören können. In dieser Nacht hören wir aber außer Vögeln und zierpenden Insekten nicht viel.
Am nächsten Morgen erzählt uns Nathan, dass er am Abend einen Löwen brüllen gehört hat und wir hoffen, dass wir das auch noch erleben werden.