Das EcoTraining-Camp in Karongwe liegt weit im Süden des Reserves. Abgesehen von unserem einen Game Drive mit Nathan, auf dem wir die Löwen gesehen haben, sind wir nie wirklich weit in den Norden vorgedrungen. Das hat mehrere Gründe: Erstens ist Karongwe knapp 9.000 Hektar groß, es ist also eine ganz schöne Strecke von einem Ende zum anderen, vor allem, wenn man nur begrenzt Zeit hat und alles über 30 km/h bei den hiesigen Straßenverhältnissen fast nicht möglich ist. Und zweitens befinden sich im Norden die ganzen Lodges, also die Unterkünfte, wo zahlende Touristen untergebracht sind. Dort sind viel mehr Fahrzeuge unterwegs und diese haben immer klaren Vorrang vor uns Studenten. Wenn also Tiere gefunden werden, dürfen zuerst die Fahrzeuge der Lodges dort hin und erst, wenn die alle fertig sind, dürfen wir mit unserem Fahrzeug zu dem Sighting. Das resultiert in langen Wartezeiten für uns oder sogar darin, dass die Tiere sich bewegen und gar nicht mehr zu sehen sind, bevor wir überhaupt eine Chance haben sie zu sehen.
Aber im Norden halten sich nunmal auch die meisten Tiere auf, die Löwen kommen fast nie zu unsin den Süden runter und auch die Elefanten fühlen sich im Norden wohler. Deswegen bequatschen wir Norman so lange, bis er sich bereit erklärt, mit jeder Gruppe einmal in den Norden zu fahren. Bisher hat nur die Hälfte von uns die Löwen gesehen und alle sind ganz scharf darauf. Außerdem hören wir seit Wochen, wie über Funk ein Sighting nach dem anderen im Norden gemeldet wird und immer sagen unsere Instructors, dass es zu weit weg ist. Das wollen wir so nicht auf uns sitzen lassen.
Am Samstag ist es dann endlich so weit und meine Gruppe ist an der Reihe, pünktlich um 5.30 Uhr sitzen wir im Wagen und fahren los. Der Begriff “Ferrari-Safari” bekommt heute eine ganz neue Bedeutung. Wir rauschen über die Pisten von Karongwe und Louie und Mika werden in der hintersten Reihe ordentlich durchgeschüttelt. Es ist nicht schwer zu erkennen, warum viele Tiere den Norden prefärieren. Die Flüsse führen Wasser und sind gesäumt von saftig grünen Wiesen und Wäldern mit riesigen Jackalberry und Nyalabäumen, die ausreichend Schatten spenden. Man muss kein Profi sein um zu verstehen, dass Antilopen und Elefanten sich hier wohl fühlen. Und wo die Beute ist, sind eben auch die Raubtiere.
Norman klebt während der Fahrt mit einem Ohr am Radio. Es dauert nicht lange, da kommt eine Meldug nach der anderen rein. Wir wissen gar nicht, wo wir zuerst hin fahren sollen, entscheiden uns aber schlussendlich für die Löwen, schließlich sind wir hauptsächlich ihretwegen hier. Zu unserem großen Glück pflegt Norman stets gute Beziehungen mit den Guides von den nörlichen Lodges. Die geben nämlich meistens nur sehr ungern Infos über Sightings an EcoTraining raus. Vielleicht fühlen sie sich durch uns gestört oder haben Angst, dass wir die Sightings blockieren, keine Ahnung. Aber Norman hält mit jedem Guide, den wir treffen, ein kleines Pläuschchen in Shangaan und bekommt gute Infos.
Einer der Guides nennt uns den Block, in dem die Löwen zuletzt gesehen wurden und wir fahren dort hin.
Es ist ein relativ offenes Areal mit wenigen Bäumen und Büschen hier und da. Als wir um die Ecke biegen, fällt mir direkt etwas auf: Ich sehe vier helle Flecken durch einen Busch scheinen. “Ich glaube, da ist einer”, sage ich zu Norman, “Zehn Uhr”. Wir fahren um den Busch herum und tatsächlich, dort liegt ein Löwenmännchen auf dem Rücken, alle vier Pfoten in der Luft.
Als wir näher kommen, dreht er sich auf den Bauch und schaut uns an. Wir halten im Schatten eines Busches und schießen ein paar Fotos. Da steht der Löwe auf und zeigt sich in seiner ganzen Pracht. Es ist ein wunderschönes, großes Männchen mit einer riesigen, dicken Mähne, die weit bis hinter seine Schutern reicht und nach hinten hin immer dunkler wird, bis sie fast schwarz ist. Die typische Mähne eines Kalahari-Löwen und dort kommt dieses Männchen her.
Der Löwe schreitet betont langsam vor unserem Wagen her und bleibt genau vor uns stehen. Dann gähnt er und zeigt uns seine Reißzähne, dreht seinen Kopf zu uns und markiert erstmal sein Revier. Das wäre sicher ein äußerst beeindruckendes Schauspiel, wenn nicht die ganze Zeit ein trockener Zweig in seiner Mähne festhängen würde. Das lässt ihn eher aussehen, als hätte er seinen Fototermin verschlafen und müsste noch kurz in die Maske.
Dann schlendert er auf den Busch zu, neben dem wir geparkt haben und als wir seine Schritte verfolgen, sehen wir plötzlich den Rest des Prides im Schatten genau dieses Busches liegen, keine fünf Meter von uns entfernt. Es ist erschreckend, wie einfach man so große Tiere übersehen kann.
Wir parken den Wagen etwas um, damit wir einen besseren Blick auf den ganzen Pride haben, während das Männchen sich näher bei seinen Frauen wieder niederlässt. Insgesamt sehen wir neben dem Männchen noch zwei ausgewachsene Weibchen, drei Cubs, wenige Monate alt, und zwei subadult Männchen, also quasi Teenager, die nur den leichtesten Ansatz einer Mähne zeigen.
Wir bleiben eine Weile dort und beobachten, wie die Mutter ihre Kleinen säugt. Wir wissen aber, dass die Katzen sich wahrscheinlich für den Rest des Tages nicht hier weg bewegen werden und fahren deswegen weiter.
Als wir das Sighting verlassen, kommt uns ein Fahrzeug von einer der Lodges entgegen und der Guide sagt uns, dass sie gerade von einem Leoparden kommen, der wohl ganz in der Nähe liegt und schläft. Wir bedanken uns für den Tipp und machen uns auf den Weg dorthin.
Als wir an die genannte Stelle kommen, entdecken wir den Leoparden schnell, allerdings schläft er ganz und gar nicht, sondern läuft zu einem kleinen Wasserloch, an dem er sich dann niederlässt. Wir können unsere Freude kaum im Zaum halten und versuchen möglichst leide zu sein, um den Leoparden nicht zu verscheuchen. Der scheint aber ziemlich entspannt und schaut zu uns rüber, nur vielleicht zwanzig Meter von uns entfernt. Es ist ein unglaubliches Gefühl, endlich Zeit mit diesem wunderschönen Tier zu verbringen, das so schwer zu finden ist. Und das Beste ist, wir haben das Sighting komplett für uns alleine.
Nachdem ich ein paar Fotos geschossen habe, lasse ich meine Kamera sinken und genieße das Sighting. Das ist etwas, was ich versuche mir anzugewöhnen. Wenn wir etwas Tolles sehen, schnappen alle gleich ihre Kameras und Handys und sind so wild auf ein gutes Foto, dass sie das Schauspiel von da an nur noch auf einem Display verfolgen. Da kann ich mir ja auch gleich eine Doku ansehen.
Ich lasse meinen Blick schweifen und kann nicht glauben, was ich sehe. Wenige Meter von dem Männchen entfernt stehen ein paar dichte Bäume und dazwischen sehe ich noch einen Leoparden! Ich fange an wild mit meiner Hand zu wedeln und leise zu schnipsen, um Normans Aufmerksamkeit zu bekommen. Als er sich zu mir umdreht, deute ich mit einer Hand in die Richtung der Bäume, recke dann zwei Finger in die Luft und forme lautlos das Wort “Female”. Normal folgt meiner Geste und reißt seine Augen weit auf. Als er das Weibchen entdeckt, macht er auf dem Fahrersitz ein aufgeregtes kleines Tänzchen.
Um zu verstehen, warum das so aufregend ist, muss man wissen, dass Leoparden Einzelgänger sind und sich nur zur Paarung für eine Weile zusammen zun. Ansonsten gehen sie sich aus dem Weg. Einen Leoparden zu sehen ist in den meisten Reserves schwierig genug, aber gleich zwei während der Paarungszeit anzutreffen, ist ein absoluter Glückstreffer.
Wir beobachten, wie das Weibchen sich an das Männchen schmiegt, dann verzieht es sich wieder in die Büsche, es scheint deutlich scheuer als das Männchen. Dieses geht währenddessen zum Wasserloch, bzw. der Pfütze, die davon noch übrig ist, und löscht seinen Durst. Ich habe inzwischen auch wieder meine Kamera in der Hand, so eine Fotogelegenheit kann man sich ja nicht entgehen lassen…
Nach einer Weile machen sich die beiden Katzen auf den Weg und das Männchen schenkt uns noch einen letzten magischen Moment, als er die Straße entlang auf uns zu läuft, bevor beide im dichten Busch verschwinden.
Auch wir machen uns langsam auf den Weg zurück Richtung Süden, als ein weiterer Funkspruch reinkommt: Die Cheetahs wurden gesehen.
Norman dreht sich zu uns um und fragt: “Leute, wollen wir zurück oder noch kurz die Cheetahs sehen?”
Was für eine Frage! Wir fahren also einen kleinen Umweg und halten die Augen offen. Wie erwartet, finden wir auch die Cheetahs im Schatten eines Busches liegen. Es sind dieselben drei Männchen, die wir letztens mit Nathan gesehen haben, das sind nämlich die einziegen Cheetahs im Reserve, abgesehen von dem schwangeren Weibchen.
Leider haben wir vom Wagen aus keinen sonderlich guten Blick auf die Katzen. Da sagt Norman plötzlich: “Kommt, lasst uns zur Fuß zu ihnen gehen.” Das lassen wir uns nicht zweimal sagen und klettern aufgeregt vom Wagen.
Auch das sollte ich wahrscheinlich erklären: Vor einigen Jahren waren Geparden in weiten Teilen Afrikas fast ausgestorben. Das liegt zum einen natürlich am schwindenden Lebensraum und der Jagd durch Menschen, aber auch an schlechten Genen. Geparden tendieren leider zur Inzest und der Genpool war irgendwann stark geschwächt, die Sterberate hoch. Die Spezies wurde in den letzten Jahren durch streng kontrollierte Breeding Programmes, also Zuchtprogramme, erhalten und der Genpool wieder gestärkt.
Die drei Cheetah-Männchen von Karongwe kommen aus einem solchen Breeding Programme, sie sind also in der Nähe von Menschen aufgewachsen und leben erst seit fünf Jahren im Reserve.
Es sind trotzdem wilde Tiere, die natürlich längst nicht mehr von Menschen gefüttert werden o.Ä. und ihnen zur Fuß zu begegnen ist ein unglaubliches Gefühl. Wir stehen nur wenige Meter von ihnen entfernt, sehen ihre muskulösen, schlanken Körper, die großen Tatzen mit den langen Krallen. Nacheinander machen wir ein Erinnerungsfoto an diesen besonderen Moment. Als Mika sich dabei zu nah an die Katzen setzt, lässt eine von ihnen ein Fauchen hören und zeigt dabei ihre Zähne. Mika zieht sich schnell zurück und der Cheetah entspannt sich wieder. Trotzdem wollen wir die Tiere nicht stören und gehen zurück zum Wagen.
Wenn wir mit Norman unterwegs sind und ein gutes Sighting haben, bittet er uns immer, nicht vor unseren Mitschülern anzugeben. Er sagt dann immer, dass wir ja ein Team sind und wir nur Glück hatten, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein und Angeben sei generell nicht cool. Als wir uns heute auf den Rückweg machen, dreht sich Norman zu uns um: “Leute, das war unfassbar toll! Das war der Beste Drive, den ich hier seit Jahren hatte. Damit könnt ihr so richtig schön vor den Anderen angeben”. “Aber wir sollen doch nicht angeben”, sagen wir lachend. “Heute schon”, sagt Norman, “Das war eins der Besten Leoparden-Sightings meines Lebens!”