Zum Einstieg beginnen unsere Tage noch entspannt um sieben Uhr. Seit dem dritten Tag sind wir in unserer Routine, die uns die nächsten Monate begleiten wird: um 4.30 Uhr ist Wake-up call, um 5 Uhr gibt es Tee und Kaffee, um 5.30 Uhr starten wir in zwei Gruppen zu unserer AM-Activity, eine Gruppe geht auf einen Walk und eine Gruppe auf einen Game Drive. Danach gibt es Frühstück, anschließend haben wir eine Unterrichtseinheit und dann Freizeit bis zum Mittagessen, danach geht es los auf die PM-Activity, die Gruppe, die morgens gelaufen ist, fährt jetzt mit dem Wagen raus und umgekehrt. Das Abendessen um 19 Uhr beendet unser tägliches Programm.
Wirklich Freizeit haben wir allerdings kaum, da wir am ersten Tag ein dickes Workbook mit Aufgaben bekommen haben. Jeden Tag müssen wir die Aufgaben zum Thema aus der Lecture dieses Tages bearbeiten und abends zur Bewertung durch unsere Instructors einreichen. Außerdem müssen wir die Zeit nutzen, um die Tiere und Pflanzen, die wir auf dem Walk oder Drive gesehen haben, zu recherchieren, uns Notizen zu machen, diese zu lernen und und und…
Die Arbeit hört eigentlich nie auf und abends sind wir so müde, dass wir nicht mal länger als für einen Drink am Lagerfeuer sitzen können, bevor wir uns in unsere Betten schleppen. Das gilt jedenfalls für einige von uns, der Rest der Gruppe hat da scheinbar andere Pläne, sie sitzen bis spät nachts am Feuer, trinken trotz unserer 2-Drink-Regel jeden Abend mindestens fünf Bier und führen sich schlimmer auf als die Baboons. Versteh mich nicht falsch, mir ist generell egal, wieviel die Leute saufen und womit sie ihre Zeit verbringen, aber wir leben hier alle auf engem Raum zusammen und noch dazu in einem Big 5-Game Reserve. Es könnte jederzeit ein Löwe oder Leopard oder Elefant ins Camp spazieren und dann ist es keine gute Idee, unter Alkoholeinfluss zu stehen, egal ob man “gar nichts merkt und vollkommen nüchtern ist”! Wir hoffen einfach, dass sich das in den nächsten Tagen durch die langen Tage und kurzen Nächte von alleine legen wird…
Ich bin kein Morgenmensch. Absolut nicht. Aber selbst ich komme mit dem frühen Aufstehen überraschend gut klar, weil wir vom Moment des Aufwachens an gespannt sind, was wir heute sehen und erleben werden. Meistens werde ich sogar schon vor meinem 4.30 Uhr Wecker wach, wenn die Vögel um uns herum ihren Morgengesang starten. Neulich hat sich um halb vier ein Frosch direkt hinter unserem Zelt niedergelassen und fröhlich sein penetrantes Geschrei auf uns losgelassen. Da war an Schlaf nicht mehr zu denken.
Wenn ich also doch mal ein bisschen freie Zeit am Nachmittag habe, versuche ich, wann immer ich kann ein kleines Power-Nap unterzubringen.
Jeden Abend müssen wir unsere Activities, Lectures und “Self-study”-Zeiten in unser Logbook eintragen und dieses ebenfalls von den Instructors gegenzeichnen lassen. Wir schieben jeden Tag locker zwölf Stunden.
Es fühlt sich an, als wäre der Busch seit dem starken Gewitter neulich zu neuem Leben erwacht. In den frühen Morgenstunden hören wir oft Löwen brüllen (was nicht heißt, dass sie sonderlich nah sind, da der Ruf eines Löwen früh morgens bis zu 8 km weit hörbar sein kann). Außerdem finden wir morgens oft Elefantenspuren im Camp, vor allem unter den Marula-Bäumen am Flussufer. Die Elefanten sind nämlich ganz wild auf die leckeren Früchte.
Als wir gestern von unserem morgendlichen Game Drive zurück kamen, war der Sand vor unserem Zelt übersäht mit Spuren von Baboons. Die frechen Primaten kommen gerne ins Camp, sind hier aber nicht erwünscht, da sie jede Menge Chaos anrichten können und sich nicht an Menschen gewöhnen sollen. Als wollten sie uns ärgern, klettern sie fast täglich in den Bäumen und auf den Felsen am anderen Ufer des Flussbetts herum. Wir sitzen zur Unterrichtseinheit im Lecture Room, als die Baboons ins Camp kommen. Zuerst hören wir sie nur bei den Marula Bäumen, wo sie scheinbar ein paar leckere Früchte aufsammeln, die die Elefanten dort gelassen haben. Wir schauen hinaus und sehen, wie ein paar von ihnen auf unseren Tischen am Flussbett sitzen, ein Baboon spielt mit einem vom Frühstück zurück gebliebenen Becher. Die silbern spiegelnde Oberfläche scheint ihn sehr zu faszinieren. Als Nathan heraus geht, um sie zu vertreiben, setzt sich der Baboon sich zum Abschied noch kurz mit seinem nackten Hintern auf eine Kappe, die ebenfalls auf dem Tisch liegt und springt schließlich seinen Kumpanen hinterher ans andere Ufer.
Abends sitzen wir am Lagerfeuer, als wir Geräusche aus dem hohen Gras am Rande des Flussbetts hören. Wir gehen den Geräuschen natürlich sofort auf die Spur und finden eine Herde Elefanten, die sich genüsslich fressend langsam aber sicher immer weiter Richtung Camp bewegt. Wir bleiben noch eine Weile sitzen, bis die meisten von uns schließlich ins Bett gehen. Auf dem Weg zu unserem Zelt leuchten Nicoline und ich besonders aufmerksam mit unseren Taschenlampen umher. So sehr ich Elefanten auch liebe, ich bin nicht scharf darauf, ihnen alleine im Dunklen zur Fuß zu begegnen.
In dieser Nacht werden Nicoline und ich um kurz nach drei wach, weil ein paar unserer Mitschüler jetzt erst schlafen gehen und aufgeregt quatschend zu ihren Zelten laufen. Am nächsten Morgen hören wir dann die ganze Geschichte: Louie, Sophia und Coneth saßen scheibar noch so lange am Feuer, bis die Elefantenherde sie plötzlich umzingelt hatte. Das mag jetzt komisch klingen, aber die Dickhäuter können sich für ihre Masse wirklich unfassbar leise bewegen. Man bemerkt sie meistens nur daran, dass die Äste und Gräser unter ihren Füßen knacken und rascheln. Da der Boden im Camp aber überwiegend sandig ist, können sie sich hier wunderbar anschleichen. Die drei haben sich dann in den Lecture Room geschlichen und dort so lange gewartet, bis die Elefanten schließlich weiter gezogen sind.
Als Nicoline und ich dann wenig später als erste aufstehen, um Wasser für Kaffee und Tee für das ganze Camp zu kochen, müssen wir feststellen, dass wir kein fließendes Wasser haben. Den Grund dafür finden wir auf dem Hauptplatz des Camps: Der Platz ist matschig nass und wir folgen dem Rinnsal zu einem unserer Outdoor-Wasserhähne, an dem wir immer unsere Flaschen auffüllen. Die Elefanten haben den Wasserhahn förmlich aus dem Boden gerissen und sich an unserem kostbaren Trinkwasser bedient, der Tank ist nun offenbar leer. Die nächsten paar Stunden sitzen wir also auf dem Trockenen, bis Manu, unser Back-Up, raus fährt um neues Wasser zu pumpen.
Wir haben aber auch einige “permanent residents” im Camp, die nicht so viele Umstände machen: Neben diversen Vögeln, die in den Bäumen um uns herum nisten und uns etwas vorsingen, hat sich auch eine Herde Nyalas hier niedergelassen, das sind besonders schöne Antilopen. Sie grasen entspannt um uns herum, wenn wir zum Lernen im Schatten unseres schönen Jackalberry Baums am Flussbett sitzen und stolzieren ganz selbstverständlich durchs Camp. Wenn wir nach einem Game Drive am Wendekreis von den Autos steigen und die Nyalas dort stehen, haben wir manchmal das Gefühl, sie hätten dort auf uns gewartet und wollten sagen “Willkommen zuhause”. Gestern lief ich von unserem Zelt Richtung Lecture Room und eins der Nyala Weibchen stand mitten auf dem Weg. Ich ging ganz langsam auf sie zu, sie schaute mich einfach nur an. Ich war mir sicher, dass sie weglaufen würde, sobald ich ihr zu nah komme, aber sie machte keine Anstalten, sich zu bewegen und ließ mich wenige Zentimeter an ihr vorbei gehen. Ich hätte nur meinen Arm heben müssen um sie zu berühren.
Ich finde es immer ein unbeschreibliches Gefühl, wenn ein wild lebendes Tier uns Menschen so sehr vertraut. Denn die Nyalas sind nicht domestiziert, sie werden im Camp nicht gefüttert oder sonstiges, sie haben sich einfach an Menschen gewöhnt und fühlen sich bei uns sicher.
Was aber am meisten Aufregung verbreitet, ist, dass sich in und um unser Camp ein geisterhafter Leopard herumtreibt. Schon bei unserer Ankunft hat Nathan uns erzählt, dass ein Leopardenweibchen ab und zu mal zu Besuch kommt und sich vor allem gerne in der Nähe von Zelt 3, dem Zelt von James und Louie, aufhält. Auf den Straßen, die ins Camp führen, haben wir schon ein paar Mal Spuren gefunden und Nathan erzählt uns eines Morgens, dass er den Leoparden nachts rufen gehört hat. Wir sind ziemlich enttäuscht, dass wir das nicht mitbekommen haben, aber da wissen wir noch nicht, was die nächste Nacht bringen wird.
Um vier Uhr wache ich auf, weil Ankas Stimme vom Zelt nebenan durch das Camp schallt. “Leopard im Camp”, ruft sie, “Leute, seid vorsichtig, da ist ein Leopard!”. Innerhalb einer Sekunde habe ich meine Taschenlampe gegriffen, die immer neben meinem Kopfkissen liegt, und leuchte nach draußen. Leider kann ich aber nicht viel sehen, da unser Zelt von Büschen umgeben ist und außerdem unsere Handtücher auf der Leine vor meinem Fenster hängen und die Sicht blockieren. Ich ärgere mich, dass wir sie dort hängen gelassen haben. Nicki ist ebenfalls hellwach. Wir sehen wie mehrere Lichtkegel von Taschenlampen draußen durch die Büsche tanzen. Der Leopard scheint irgendwo zwischen dem Zelt von Anka und Sophia und unserem zu sein. Wir sind Mucksmäuschen still, ich traue mich nicht, mich zu bewegen aus Angst, dass mein Bett knarzen könnte. Einen Moment lang passiert nichts. Dann hören wir ein Rascheln und ein paar Zweige knacken. Die Geräusche sind verdammt nah, die Katze scheint sich auf unser Zelt zu zu bewegen. Wieder ist es ein paar Sekunden lang still. Nicki und ich schauen uns in dem unheimlichen Streulicht unserer Taschenlampen an. Unsere Augen werden weit, als wir plötzlich ein anderes Geräusch direkt neben unserem Zelt hören: Ein raues Atmen. Der Leopard ist nicht mehr als ein paar Meter entfernt und nur durch eine Zeltwand von uns getrennt. Mein Körper ist voller Adrenalin. Ich fühle keine Angst, nur eine Aufregung, die sich schwer beschreiben lässt.
Nach ein paar Minuten hören wir wieder ein Rascheln und das Atmen entfernt sich. Wir bleiben noch eine Weile schweigend sitzen. Natürlich ist an Schlaf nicht zu denken und wir müssen sowieso gleich aufstehen, deswegen trauen wir uns irgendwann mit unseren Taschenlampen bewaffnet nach draußen. Im Waschhaus treffen wir ein paar unserer Mitschüler. Die Aufregung ist groß, aber niemand hat den Leoparden gesehen, nur ein paar von uns haben ihn gehört.