Am zweiten Tag des First Aid Trainings besprechen wir vor allem Vergiftungen. Schlangen, Spinnen, Skorpione, quasi alle “creepy crawlies” und ihre Bisse, Stiche und Gifte. Natürlich wieder mit dem passenden Bildmaterial. (An diesem Abend scheinen wir unsere Taschenlampen also vor allem auf den Boden.)
Noch am selben Abend finden wir außerdem eine Schlange in einer der Duschen. Es ist ein kleines Tier, vielleicht 30-40 cm lang, aber das heißt ja bekanntlich nicht, dass sie nicht gefährlich sein können. aufgeregt stehen wir mit 6 Leuten drum herum, niemand hat auch nur den Hauch einer Ahnung, um was für eine Spezies es sich handelt. Wie es der Zufall will, hängen überall im Camp – unter anderem an jeder Dusch- und Toilettentür im ganzen Camp – Poster mit Abbildungen und Namen von allen möglichen Schlangen und Fröschen. Von der Illustration auf dem Plakat leiten wir ab, dass es sich (vermutlich) nur um eine kleine Egg-Eater Schlange handelt, die noch nicht ausgewachsen ist. Der grüne Punkt neben dem Bild sagt uns: Nicht gefährlich. Also hebt einer meiner Mitschüler die Schlange kurzerhand mit bloßen Händen auf und trägt sie nach draußen. Zum Glück scheint das Tier wirklich nicht gefährlich zu sein und es lässt sich ohne Gegenwehr aufnehmen und im Gras aussetzen. Ich kann trotzdem nicht empfehlen, eine unbekannte Schlange einfach aufzunehmen und werde wohl auch nie verstehen, wie er das nach der heutigen Lecture machen konnte, gerade nach allem, was wir heute gesehen und gelernt haben.
Nach den Lectures des Tages und dem Abendessen sitzen wir wie immer unten am trockenen Bett des Karongwe Flusses am Lagerfeuer und quatschen. In den letzten Stunden sind immer mehr Wolken aufgezogen und haben den Himmel verdunkelt. Da es den ganzen Tag unerträglich heiß und die Luftfeuchtigkeit enorm hoch war, rechnen wir mit einem ordentlichen Gewitter. Schließlich fängt es in der Ferne an zu donnern und es weht erst eine leichte Brise, dann ein ordentlicher Wind, der die Bäume und Büsche um uns herum rascheln lässt. Das freut uns nicht nur, weil es dadurch wenigstens ein kleines bisschen kühler wird, sondern auch, weil der Busch bei diesem Wetter meistens besonders aktiv ist. Gerade der Wind sorgt dafür, dass die Sinne der Beutetiere stark beeinträchtigt sind. Das wissen die Raubtiere und haben so oft leichtes Spiel bei der Jagd. Tatsächlich hören wir plötzlich die “whoo-oop” Rufe von mehreren Hyänen und kurz darauf die Alarmrufe von Zebras. Eines der Zebras stößt einen panischen Schrei aus. Wie gerne wären wir jetzt da draußen um zu sehen, was genau passiert. die Hyänen scheinen die Zebras auf jeden Fall gejagt zu haben, ob sie vielleicht sogar eins der Jungtiere erwischt haben, werden wir wohl nie erfahren.
Hyänen haben leider in weiten Teilen der Welt einen ziemlich schlechten Ruf als ekelige Aasfresser. Filme wie “Der König der Löwen” haben sicher auch ihren Teil dazu beigetragen. Die Wahrheit ist, das Hyänen faszinierende, sehr soziale Tiere sind, die in matriarchalischen Familien zusammen leben und auch selbst jagen gehen. Dabei haben sie sogar eine der höchsten Erfolgsraten von allen Raubtieren. Wenn sie aber einen Kadaver aufspüren, werden sie natürlich versuchen, diesen für sich selbst zu stehlen. Ist ja auch verständlich, ein anderes Tier hat die harte Arbeit gemacht und die Hyäne klaut sich eine leckere Mahlzeit. Das machen Löwen, Leoparden und andere Raubtiere auch so. Sie mögen also stinken und ihre Geräusche in der Nacht ziemlich unheimlich klingen, aber ich freue mich trotzdem darauf, Hyänen zu sehen.
Der dritte Tag des First Aid Kurses bringt schließlich den praktischen Teil mit sich. Unter genauen Anweisungen und den strengen Blicken von Andrew lernen wir anhand von entsprechenden Puppen, wie man einer Person CPR gibt, sie wiederbelebt. Wir knien also bei über 30 Grad und einer gefühlten Luftfeuchtigkeit von 80% auf dem harten Boden und üben an den Dummies chest compressions, chest compressions, chest compressions, Mund-zu-Mund-Beatmung, chest compressions, chest compressions… Alleine, dann im Team, wieder alleine, Andrew tauscht uns auf Kommando aus, damit wir für mögliche reale Szenarien vorbereitet sind. Das ist unglaublich anstrengend und nach nur wenigen Minuten sind wir alle schweißgebadet. Aber das Schlimmste ist, dass im Hintergrund die ganze Zeit “Staying Alive” von den Bee Gees läuft. 100 beats pro Minute, perfekt um den Takt für die chest copressions zu halten.
Danach haken wir noch den Heimlich-Griff ab und haben den Rest den Tages Zeit, um uns auf die morgige Prüfung vorzubereiten. Allerdings sagt Andrew uns ziemlich genau, was er abfragen wird und so sind die meisten von uns mit dem Lernen schnell durch.
An diesem Abend braut sich definitiv etwas am Himmel zusammen. Schon als wir uns ans Feuer setzen, sehen wir über den Bäumen den Himmel in der Ferne immer wieder aufblitzen. Da das Unwetter aber weit entfernt aussieht, wissen wir nicht, ob es uns diesmal treffen wird.
Es trifft uns. Und zwar mit voller Wucht. Als Nicoline und ich schon im Bett liegen und noch ein bisschen quatschen, rollt auf einmal lauter Donner über uns hinweg. Wir unterbrechen unser Gespräch und schauen uns mit großen Augen an. Wenige Sekunden später fängt es heftig an zu regnen und die Blitze zucken vom Himmel. Sofort springen wir beide auf, greifen unsere Taschenlampen und schlüpfen durch den Reißverschluss unserer Zeltfront nach draußen auf unsere kleine “Terrasse”. Ein paar Minuten lang stehen wir dort und beobachten das Spektakel, werden aber schnell wieder rein gescheucht, als der Wind plötzlich dreht und uns den Regen entgegen peitscht. Wir klettern also wieder in die relative Sicherheit unseres Zelts und legen uns auf unsere Betten, mit dem Kopf zur Zeltöffnung. Was folgt ist das beeindruckendste Naturschauspiel, das ich jemals miterlebt habe. Es blitzt fast unaufhörlich, sodass es eigentlich die ganze Zeit hell ist und nur zwischendurch für den Bruchteil einer Sekunde Dunkelheit herrscht. Die Umrisse der Bäume zeichnen sich gegen den fast durchgehend erleuchteten Himmel ab. Das Ganze wird begleitet von so heftigem Regen und Wind, dass unsere Betten durch die Fenster, die nur aus Moskitonetz bestehen, nass gesprüht werden. Alle paar Sekunden knallt so lauter Donner über uns hinweg, dass wir zusammenzucken. All die Hitze und Feuchtigkeit der letzten Tage hat sich zu einem beachtlichen elektrischen Sturm zusammengebraut, der sich nun genau über uns entlädt. Und wir liegen hier in unseren Zelten, direkt unter Bäumen, am Flussufer. Eigentlich keine ideale Situation, aber wir genießen es in vollen Zügen, Angst haben wir zum Glück beide keine.
Am nächsten Morgen stehen wir um halb sechs auf und hören sofort ein unbekanntes Geräusch: Der Karongwe Fluss führt Wasser, das wenige Meter von unserem Zelt entfernt vorbei rauscht. Wir ziehen uns schnell an und wollen uns das ansehen. Das Camp hat sich über Nacht verändert, die sandigen Wege, die durch das Camp führen, wurden teilweise weggeschwemmt oder haben tiefe Furchen, duch die die großen Wassermengen in der Nacht geflossen sind. Wir müssen gut aufpassen, wor wir hintreten, um uns nicht die Knöchel zu brechen. Eins der zelte ist zur Hälfte eingestürzt, in mehrere andere ist Wasser eingedrungen und hatt Kleidung und Bücher durchnässt. Nicoline und ich haben ein riesen Glück mit unserem Zelt, da es ein bisschen erhöht und unter Bäumen geschützt steht, wir haben keinerlei Probleme.
Dass wir heute eine Prüfung schreiben, habe ich über all die Aufregung total vergessen. Das Exam ist aber absolut machbar, ich bin eine der Ersten, die ihre Prüfung abgeben und gehe raus. Ein paar Minuten später kommt Andrew aus dem Lecture Room und steuert mit intensivem Blick direkt auf mich zu. Ich erstarre, obwohl ich mir meines Wissens nichts vorzuwerfen habe, ich habe nicht gecheatet oder sonst bewusst irgendetwas falsch gemacht.
Andrew bleibt vor mir stehen und macht eine Geste, dass ich meine Hand ausstrecken soll. Das mache ich zögerlich und Andrew gibt mir einen Klaps auf mein Handgelenk. dann dreht er sich wortlos um und geht zurück zum Lecture Room, wo meine Mitschüler noch schreiben. Ich stehe immer noch da, Hand angehoben. Auf halber Strecke dreht Andrew sich um, sieht meinen fragenden Blick und sagt “Das war dafür, dass du um einen einzigen Punkt die 100% verpasst hast. Und du hast so was Dummes falsch gemacht!”. Dann geht er.
Es dauert ein paar Sekunden, bis ich das begreife. Ich habe nicht nur bestanden, ich hätte um ein Haar volle Punktzahl erreicht. Nicoline grinst mich sofort an und gibt mir eine High Five.
Wie sich heraus stellt, hat nur James die vollen 100% geschafft, aber wir alle haben locker bestanden. Als wir später alle zusammen stehen, frage ich Andrew im Spaß, ob dann nicht noch mehr Leute einen “slap on the wrist” bekommen sollten, worauf er nur sagt “Nein, nur du, weil du die erste warst. Du hast es für das ganze Team abbekommen.” Dann fügt er leiser hinzu “Und weil ich weiß, dass du 100% schaffen kannst, ich habe viel von dir erwartet”. Und auch wenn man das als “Ich bin enttäuscht von dir” interpretieren könnte, entscheide ich mich, das als riesiges Kompliment zu nehmen. Gerade von jemandem wie Andrew fucking Miller.